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An anthology of German literature
by Calvin Thomas
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[Notes: 4: Published in the aforementioned collection Von deutscher Art und Kunst (1773). See Suphan's Herder, Vol. 5, page 208.]

5

From 'Auch eine Philosophie': The Middle Ages and the Age of Reason.[5]

Die dunkeln Seiten dieses Zeitraums [des Mittelalters] stehen in allen Bchern: jeder klassische Schndenker, der die Polizierung unsres Jahrhunderts frs non plus ultra der Menschheit hlt, hat Gelegenheit ganze Jahrhunderte auf Barbarei, elendes Staatsrecht, Aberglauben und Dummheit, Mangel der Sitten und Abgeschmacktheit—in Schulen, in Landsitzen, in Tempeln, in Klstern, in Rathusern, in Handwerksznften, in Htten und Husern zu schmlen und ber das Licht unsres Jahrhunderts, das ist, ber seinen Leichtsinn und Ausgelassenheit, ber seine Wrme in Ideen und Klte in Handlungen, ber seine scheinbare Strke und Freiheit, und ber seine wirkliche Todesschwche und Ermattung unter Unglauben, Despotismus und ppigkeit zu lobjauchzen. Davon sind alle Bcher unsrer Voltre und Hume, Robertsons und Iselins voll, und es wird ein so schn Gemlde, wie sie die Aufklrung und Verbesserung der Welt aus den trben Zeiten des Deismus und Despotismus der Seelen, d.i. zu Philosophie und Ruhe herleiten—dass dabei jedem Liebhaber seiner Zeit das Herz lacht....

Dass es jemanden in der Welt unbegreiflich wre, wie Licht die Menschen nicht nhrt! Ruhe und ppigkeit und sogenannte Gedankenfreiheit nie allgemeine Glckseligkeit und Bestimmung sein kann! Aber Empfindung, Bewegung, Handlung—wenn auch in der Folge ohne Zweck (was hat auf der Bhne der Menschheit ewigen Zweck?), wenn auch mit Stssen und Revolutionen, wenn auch mit Empfindungen, die hie und da schwrmerisch, gewaltsam, gar abscheulich werden—als Werkzeug in den Hnden des Zeitlaufs, welche Macht! welche Wirkung! Herz und nicht Kopf genhrt! mit Neigungen und Trieben alles gebunden, nicht mit krnkelnden Gedanken! Andacht und Ritterehre, Liebeskhnheit und Brgerstrke—Staatsverfassung und Gesetzgebung, Religion. —Ich will nichts weniger als die ewigen Vlkerzge und Verwstungen, Vasallenkriege und Befehdungen, Mnchsheere, Wallfahrten, Kreuzzge verteidigen; nur erklren mchte ich sie: wie in allem doch Geist hauchet! Ghrung menschlicher Krfte! Grosse Kur der ganzen Gattung durch gewaltsame Bewegung, und wenn ich so khn reden darf, das Schicksal zog, (allerdings mit grossem Getse, und ohne dass die Gewichte da ruhig hangen konnten,) die grosse abgelaufene Uhr auf! Da rasselten also die Rder!

[Notes: 5: The booklet Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit was published in 1774. See Suphan's Herder, Vol. 5, page 475.]



LXXIV. JOHANN WOLFGANG GOETHE

1749-1832. The long-gathering promise of a German literary renascence was splendidly fulfilled in the genius of Goethe. In all the genres he wrought with high and peculiar distinction; and so intensely and fully did he live the life of his epoch that he has come to be regarded as the representative of the modern spirit. A great critic has called him 'the clearest, largest, and most helpful thinker of modern times.' The scope of this book is such that only the youthful Goethe is represented in the selections.

1

Mailied.

Wie herrlich leuchtet Mir die Natur! Wie glnzt die Sonne! Wie lacht die Flur!

Es dringen Blten 5 Aus jedem Zweig Und tausend Stimmen Aus dem Gestruch,

Und Freud' und Wonne Aus jeder Brust. 10 O Erd', o Sonne! O Glck, o Lust!

O Lieb', o Liebe, So golden schn. Wie Morgenwolken 15 Auf jenen Hhn!

Du segnest herrlich Das frische Feld, Im Bltendampfe Die volle Welt. 20

O Mdchen, Mdchen, Wie lieb' ich dich! Wie blickt dein Auge! Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche 25 Gesang und Luft, Und Morgenblumen Den Himmelsduft,

Wie ich dich liebe Mit warmem Blut, 30 Die du mir Jugend Und Freud' und Mut

Zu neuen Liedern Und Tnzen gibst. Sei ewig glcklich, 35 Wie du mich liebst!

2

Willkommen und Abschied.

Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde! Es war getan fast eh gedacht; Der Abend wiegte schon die Erde, Und an den Bergen hing die Nacht. Schon stand im Nebelkleid die Eiche, 5 Ein aufgetrmter Riese, da, Wo Finsternis aus dem Gestruche Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhgel Sah klglich aus dem Duft hervor, 10 Die Winde schwangen leise Flgel, Umsausten schauerlich mein Ohr. Die Nacht schuf tausend Ungeheuer; Doch frisch und frhlich war mein Mut: In meinen Adern welches Feuer! 15 In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude Floss von dem sssen Blick auf mich; Ganz war mein Herz an deiner Seite, Und jeder Atemzug fr dich. 20 Ein rosenfarbnes Frhlingswetter Umgab das liebliche Gesicht, Und Zrtlichkeit fr mich—ihr Gtter! Ich hofft' es, ich verdient' es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne 25 Verengt der Abschied mir das Herz: In deinen Kssen welche Wonne! In deinem Auge welcher Schmerz! Ich ging, du standst und sahst zur Erden, Und sahst mir nach mit nassem Blick: 30 Und doch, welch Glck geliebt zu werden! Und lieben, Gtter, welch ein Glck!

3

Neue Liebe neues Leben.

Herz, mein Herz, was soll das geben? Was bedrnget dich so sehr? Welch ein fremdes neues Leben! Ich erkenne dich nicht mehr. Weg ist alles, was du liebtest, 5 Weg warum du dich betrbtest, Weg dein Fleiss und deine Ruh— Ach, wie kamst du nur dazu!

Fesselt dich die Jugendblte, Diese liebliche Gestalt, 10 Dieser Blick voll Treu' und Gte Mit unendlicher Gewalt? Will ich rasch mich ihr entziehen, Mich ermannen, ihr entfliehen, Fhret mich im Augenblick, 15 Ach, mein Weg zu ihr zurck.

Und, an diesem Zauberfdchen, Das sich nicht zerreissen lsst, Hlt das liebe lose Mdchen Mich so wider Willen fest; 20 Muss in ihrem Zauberkreise Leben nun auf ihre Weise. Die Verndrung ach wie gross! Liebe! Liebe! lass mich los!

4

Rastlose Liebe.

Dem Schnee, dem Regen, Dem Wind entgegen, Im Dampf der Klfte, Durch Nebeldfte, Immer zu! Immer zu! 5 Ohne Rast und Ruh!

Lieber durch Leiden Mcht' ich mich schlagen, Als so viel Freuden Des Lebens ertragen. 10 Alle das Neigen Von Herzen zu Herzen, Ach, wie so eigen Schaffet das Schmerzen!

Wie soll ich fliehen? 15 Wlderwrts ziehen? Alles vergebens! Krone des Lebens! Glck ohne Ruh, Liebe, bist du! 20

5

Meeres Stille.

Tiefe Stille herrscht im Wasser, Ohne Regung ruht das Meer, Und bekmmert sieht der Schifer Glatte Flche rings umher. Keine Luft von keiner Seite! Todesstille frchterlich! In der ungeheuern Weite Reget keine Welle sich.

6

Glckliche Fahrt.

Die Nebel zerreissen, Der Himmel ist helle, Und olus lset Das ngstliche Band. Es suseln die Winde, Es rhrt sich der Schiffer. Geschwinde! Geschwinde! Es teilt sich die Welle, Es naht sich die Ferne; Schon seh' ich das Land!

7

Wandrers Nachtlieder.

Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung fllest, Ach ich bin des Treibens mde! Was soll all der Schmerz und Lust? Ssser Friede, Komm, ach komm in meine Brust!

ber allen Gipfeln Ist Ruh, In allen Wipfeln Sprest du Kaum einen Hauch: Die Vgelein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch.

8

Der Knig in Thule.

Es war ein Knig in Thule Gar treu bis an das Grab, Dem sterbend seine Buhle Einen goldnen Becher gab.

Es ging ihm nichts darber, 5 Er leert' ihn jeden Schmaus; Die Augen gingen ihm ber, So oft er trank daraus.

Und als er kam zu sterben, Zhlt' er seine Stdt' im Reich, 10 Gnnt' alles seinem Erben, Den Becher nicht zugleich.

Er sass beim Knigsmahle, Die Ritter um ihn her, Auf hohem Vtersaale, 15 Dort auf dem Schloss am Meer.

Dort stand der alte Zecher, Trank letzte Lebensglut, Und warf den heilgen Becher Hinunter in die Flut. 20

Er sah ihn strzen, trinken, Und sinken tief ins Meer. Die Augen tten ihm sinken; Trank nie einen Tropfen mehr.

9

From 'Prometheus,' Act 3: The Titan's defiance.

Bedecke deinen Himmel, Zeus, Mit Wolkendunst, Und be, dem Knaben gleich, Der Disteln kpft, An Eichen dich und Bergeshhn; 5 Musst mir meine Erde Doch lassen stehn, Und meine Htte, die du nicht gebaut, Und meinen Herd, Um dessen Glut 10 Du mich beneidest.

Ich kenne nichts rmeres Unter der Sonn', als euch, Gtter! Ihr nhret kmmerlich Von Opfersteuern 15 Und Gebetshauch Eure Majestt, Und darbtet, wren Nicht Kinder und Bettler Hoffnungsvolle Toren. 20

Da ich ein Kind war, Nicht wusste wo aus noch ein, Kehrt' ich mein verirrtes Auge Zur Sonne, als wenn drber wr' Ein Ohr, zu hren meine Klage, 25 Ein Herz, wie meins, Sich des Bedrngten zu erbarmen.

Wer half mir Wider der Titanen bermut? Wer rettete vom Tode mich, 30 Von Sclaverei? Hast du nich alles selbst vollendet, Heilig glhend Herz? Und glhtest jung und gut, Betrogen, Rettungsdank 35 Dem Schlafenden da droben?

Ich dich ehren? Wofr? Hast du die Schmerzen gelindert Je des Beladenen? Hast du die Trnen gestillet 40 Je des Gengsteten? Hat nicht mich zum Manne geschmiedet Die allmchtige Zeit Und das ewige Schicksal, Meine Herren und deine? 45

Whntest du etwa, Ich sollte das Leben hassen, In Wsten fliehen, Weil nicht alle Bltentrume reiften? 50

Hier sitz' ich, forme Menschen, Nach meinem Bilde Ein Geschlecht, das mir gleich sei, Zu leiden, zu weinen, Zu geniessen und zu freuen sich, 55 Und dein nicht zu achten, Wie ich!

10

From the 'Sufferings of Young Werther': Werther's communion with the All.

Am 10 Mai.

Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den sssen Frhlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen geniesse. Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die fr solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin so glcklich, mein Bester, so ganz in dem Gefhle von ruhigem Dasein versunken, dass meine Kunst darunter leidet. Ich knnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin nie ein grsserer Maler gewesen als in diesen Augenblicken. Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberflche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht, und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen, ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und nher an der Erde tausend mannichfaltige Grschen mir merkwrdig werden; wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzhligen unergrndlichen Gestalten der Wrmchen, der Mckchen nher an meinem Herzen fhle, und fhle die Gegenwart des Allmchtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Allliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trgt und erhlt; mein Freund! wenn's dann um meine Augen dmmert, und die Welt um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhen wie die Gestalt einer Geliebten; dann sehne ich mich oft und denke: ach knntest du das wieder ausdrcken, knntest du dem Papiere das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, dass es wrde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes! —Mein Freund— Aber ich gehe darber zu Grunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen.

Homer as an anodyne for a sick heart.

Am 13. Mai.

Du fragst, ob du mir meine Bcher schicken sollst? —Lieber, ich bitte dich um Gottes willen, lass mir sie vom Halse! Ich will nicht mehr geleitet, ermuntert, angefeuert sein, braust doch dieses Herz genug aus sich selbst; ich brauche Wiegengesang, und den habe ich in seiner Flle gefunden in meinem Homer. Wie oft lull' ich mein emprtes Blut zur Ruhe, denn so ungleich, so unstt, hast du nichts gesehen als dieses Herz. Lieber! brauch' ich dir das zu sagen, der du so oft die Last getragen hast, mich vom Kummer zur Ausschweifung und von ssser Melancholie zur verderblichen Leidenschaft bergehen zu sehen? Auch halte ich mein Herzchen wie ein krankes Kind; jeder Wille wird ihm gestattet. Sage das nicht weiter, es gibt Leute, die mir es verbeln wrden.

Werther excited by the reading of Ossian.

Am 12. October.

Ossian hat in meinem Herzen den Homer verdrngt. Welch eine Welt, in die der Herrliche mich fhrt! Zu wandern ber die Heide, umsaust vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln die Geister der Vter im dmmernden Lichte des Mondes hinfhrt. Zu hren vom Gebirge her im Gebrlle des Waldstroms halb verwehtes chzen der Geister aus ihren Hhlen, und die Wehklagen des zu Tode sich jammernden Mdchens, um die vier moosbedeckten grasbewachsenen Steine des Edelgefallnen, ihres Geliebten. Wenn ich ihn dann finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Heide die Fussstapfen seiner Vter sucht, und ach! ihre Grabsteine findet, und dann jammernd nach dem lieben Sterne des Abends hinblickt, der sich ins rollende Meer verbirgt, und die Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele lebendig werden, da noch der freundliche Strahl den Gefahren der Tapferen leuchtete, und der Mond ihr bekrnztes siegrckkehrendes Schiff beschien. Wenn ich den tiefen Kummer auf seiner Stirn lese, den letzten verlassenen Herrlichen in aller Ermattung dem Grabe zu wanken sehe, wie er immer neue schmerzlich glhende Freuden in der kraftlosen Gegenwart der Schatten seiner Abgeschiedenen einsaugt, und nach der kalten Erde, dem hohen wehenden Grase niedersieht und ausruft: Der Wanderer wird kommen, kommen, der mich kannte in meiner Schnheit, und fragen: Wo ist der Snger, Fingals trefflicher Sohn? Sein Fusstritt geht ber mein Grab hin, und er fragt vergebens nach mir auf der Erde. —O Freund! Ich mchte gleich einem edlen Waffentrger das Schwert ziehen, meinen Frsten von der zckenden Qual des langsam absterbenden Lebens befreien und dem befreiten Halbgott meine Seele nachsenden.

Werther in the depths of despair.

Am 3. November.

Weiss Gott! ich lege mich so oft zu Bette mit dem Wunsche, ja manchmal mit der Hoffnung, nicht wieder zu erwachen; und morgens schlage ich die Augen auf, sehe die Sonne wieder und bin elend. O dass ich launisch sein knnte, knnte die Schuld aufs Wetter, auf einen Dritten, auf eine fehlgeschlagene Unternehmung schieben, so wrde die unertrgliche Last des Unwillens doch nur halb auf mir ruhen. Wehe mir! ich fhle zu wahr, dass an mir allein alle Schuld liegt—nicht Schuld! Genug, dass in mir die Quelle alles Elendes verborgen ist, wie ehemals die Quelle aller Seligkeiten. Bin ich nicht noch eben derselbe, der ehemals in aller Flle der Empfindung herumschwebte, dem auf jedem Tritte ein Paradies folgte, der ein Herz hatte, eine ganze Welt liebevoll zu umfassen? Und dies Herz ist jetzt tot, aus ihm fliessen keine Entzckungen mehr, meine Augen sind trocken, und meine Sinne, die nicht mehr von erquickenden Trnen gelabt werden, ziehen ngstlich meine Stirn zusammen. Ich leide viel, denn ich habe verloren was meines Lebens einzige Wonne war, die heilige Kraft, mit der ich Welten um mich schuf; sie ist dahin! —Wenn ich zu meinem Fenster hinaus an den fernen Hgel sehe, wie die Morgensonne ber ihn her den Nebel durchbricht und den stillen Wiesengrund bescheint, und der sanfte Fluss zwischen seinen entbltterten Weiden zu mir herschlngelt,—o! wenn da diese herrliche Natur so starr vor mir steht wie ein lackiertes Bildchen, und alle die Wonne keinen Tropfen Seligkeit aus meinem Herzen herauf in das Gehirn pumpen kann, und der ganze Kerl vor Gottes Angesicht steht wie ein versiegter Brunnen, wie ein verlechter Eimer. Ich habe mich oft auf den Boden geworfen und Gott um Trnen gebeten, wie ein Ackersmann um Regen, wenn der Himmel ehern ber ihm ist, und um ihn die Erde verdrstet.

11

From 'Letters from Switzerland.'[1]

Frei wren die Schweizer? frei diese wohlhabenden Brger in den verschlossenen Stdten? frei diese armen Teufel an ihren Klippen und Felsen? Was man dem Menschen nicht alles weiss machen kann! Besonders wenn man so ein altes Mrchen in Spiritus aufbewahrt. Sie machten sich einmal von einem Tyrannen los und konnten sich in einem Augenblick frei denken; nun erschuf ihnen die liebe Sonne aus dem Aas des Unterdrckers einen Schwarm von kleinen Tyrannen durch eine sonderbare Wiedergeburt. Nun erzhlen sie das alte Mrchen immer fort, man hrt bis zum berdruss: sie htten sich einmal frei gemacht und wren frei geblieben. Und nun sitzen sie hinter ihren Mauern, eingefangen von ihren Gewohnheiten und Gesetzen, ihren Fraubasereien und Philistereien, und da draussen auf den Felsen ist's auch wohl der Mhe wert von Freiheit zu reden, wenn man das halbe Jahr vom Schnee wie ein Murmeltier gefangen gehalten wird.

* * *

Pfui! wie sieht so ein Menschenwerk und so ein schlechtes notgedrungenes Menschenwerk, so ein schwarzes Stdtchen, so ein Schindel- und Steinhaufen, mitten in der grossen herrlichen Natur aus! Grosse Kiesel- und andere Steine auf den Dchern, dass ja der Sturm ihnen die traurige Decke nicht vom Kopfe wegfhre, und den Schmutz, den Mist! und staunende Wahnsinnige! —Wo man den Menschen nur wieder begegnet, mchte man von ihnen gleich davon fliehen.

* * *

Dass in den Menschen so viele geistige Anlagen sind, die sie im Leben nicht entwickeln knnen, die auf eine bessere Zukunft, auf ein harmonisches Dasein deuten, darin sind wir einig, mein Freund, und meine andere Grille kann ich auch nicht aufgeben, ob du mich gleich schon oft fr einen Schwrmer erklrt hast. Wir fhlen auch die Ahnung krperlicher Anlagen, auf deren Entwickelung wir in diesem Leben Verzicht tun mssen: so ist es ganz gewiss mit dem Fliegen. So wie mich sonst die Wolken schon reizten, mit ihnen fort in fremde Lnder zu ziehen, wenn sie hoch ber meinem Haupte wegzogen, so steh' ich jetzt oft in Gefahr, dass sie mich von einer Felsenspitze mitnehmen, wenn sie an mir vorbeiziehen. Welche Begierde fhl' ich, mich in den unendlichen Luftraum zu strzen, ber den schauerlichen Abgrnden zu schweben und mich auf einen unzugnglichen Felsen niederzulassen. Mit welchem Verlangen hol' ich tiefer und tiefer Atem, wenn der Adler in dunkler blauer Tiefe, unter mir, ber Felsen und Wldern schwebt, und in Gesellschaft eines Weibchens um den Gipfel, dem er seinen Horst und seine Jungen anvertraut hat, grosse Kreise in sanfter Eintracht zieht. Soll ich denn nur immer die Hhe erkriechen, am hchsten Felsen wie am niedrigsten Boden kleben, und wenn ich mhselig mein Ziel erreicht habe, mich ngstlich anklammern, vor der Rckkehr schaudern und vor dem Falle zittern?

[Notes: 1: The Briefe aus der Schweiz, in two parts, were first published in 1808 as an 'appendix' to Werther. They were said to be 'from Werther's papers.' In substance and sentiment, if not in form, they reproduce real letters written by Goethe in his youth.]

12

From 'Faust': 'Feeling is everything.'

MARGARETE

Versprich mir, Heinrich!

FAUST

Was ich kann!

MARGARETE

Nun sag', wie hast du's mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, Allein ich glaub', du hltst nicht viel davon.

FAUST

Lass das, mein Kind! Du fhlst, ich bin dir gut; 5 Fr meine Lieben liess' ich Leib und Blut, Will niemand sein Gefhl und seine Kirche rauben.

MARGARETE

Das ist nicht recht, man muss dran glauben!

FAUST

Muss man?

MARGARETE

Ach! wenn ich etwas auf dich knnte! Du ehrst auch nicht die heilgen Sacramente. 10

FAUST

Ich ehre sie.

MARGARETE

Doch ohne Verlangen. Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen Glaubst du an Gott?

FAUST

Mein Liebchen, wer darf sagen: Ich glaub' an Gott? Magst Priester oder Weise fragen, 15 Und ihre Antwort scheint nur Spott ber den Frager zu sein.

MARGARETE

So glaubst du nicht?

FAUST

Mishr' mich nicht, du holdes Angesicht! Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: 20 Ich glaub' ihn? Wer empfinden Und sich unterwinden Zu sagen: ich glaub' ihn nicht? Der Allumfasser, 25 Der Allerhalter, Fasst und erhlt er nicht Dich, mich, sich selbst? Wlbt sich der Himmel nicht da droben? Liegt die Erde nicht hierunten fest? 30 Und steigen freundlich blickend Ewige Sterne nicht herauf? Schau' ich nicht Aug' in Auge dir, Und drngt nicht alles Nach Haupt und Herzen dir, 35 Und webt in ewigem Geheimnis Unsichtbar sichtbar neben dir? Erfll' davon dein Herz, so gross es ist, Und wenn du ganz in dem Gefhle selig bist, Nenn's Glck! Herz! Liebe! Gott! 40 Ich habe keinen Namen Dafr! Gefhl ist alles; Name ist Schall und Rauch, Umnebelnd Himmelsglut.

MARGARETE

Das ist alles recht schn und gut; 45 Ungefhr sagt das der Pfarrer auch, Nur mit ein bischen andern Worten.

FAUST

Es sagen's aller Orten Alle Herzen unter dem himmlischen Tage, Jedes in seiner Sprache; 50 Warum nicht ich in der meinen?

MARGARETE

Wenn man's so hrt, mcht's leidlich scheinen, Steht aber doch immer schief darum; Denn du hast kein Christentum.



LXXV. MINOR DRAMATISTS OF THE STORM AND STRESS ERA

The name 'Storm and Stress,' derived from a play of Klinger (see below), has long been in use to denote the insurgent spirit of the youthful Goethe (beginning with Gtz von Berlichingen in 1773), and of certain other writers who followed in his wake. Aside from Schiller, whose early plays are the strongest expression of the revolutionary tendencies, the other more important names are Klinger, Wagner, Lenz, Leisewitz, and Maler Mller. Their favorite form was the prose tragedy of middle-class life. They wrote of crime and remorse; of fratricide, seduction, rape and child-murder; of class conflict, and of fierce passion at war with the social order. While their plays were meant to exemplify a fearless 'naturalism,' the language is often unnaturally extravagant and the plots wildly improbable. For the texts see Krschner's Nationalliteratur, Vols. 79-81.

1

From Klinger's 'Storm and Stress,' Act 1, Scene 1.[1]

Zimmer im Gasthofe.

WILD, LA FEU, BLASIUS (treten auf in Reisekleidern).

WILD. Heida! nun einmal in Tumult und Lrmen, dass die Sinnen herumfahren wie Dachfahnen beim Sturm! Das wilde Gerusch hat mir schon so viel Wohlsein entgegengebrllt, dass mir's wirklich ein wenig anfngt besser zu werden. Soviel hundert Meilen gereiset, um dich in vergessenden Lrmen zu bringen—tolles Herz! du sollst mir's danken! Ha! tobe und spanne dich dann aus, labe dich im Wirrwar! —Wie ist's euch?

BLASIUS. Geh zum Teufel! Kommt meine Donna nach?

LA FEU. Mach dir Illusion, Narr! Sollt' mir nicht fehlen, sie von meinem Nagel in mich zu schlrfen, wie einen Tropfen Wasser. Es lebe die Illusion! —Ei, ei! Zauber meiner Phantasie, wandle in den Rosengrten von Phyllis' Hand gefhrt—

WILD. Strk' dich Apoll, nrrischer Junge!

LA FEU. Es soll mir nicht fehlen, das schwarze verrauchte Haus gegenber, mitsamt dem alten Turm, in ein Feenschloss zu verwandeln. Zauber, Zauberphantasie!— (lauschend) Welch lieblich geistige Symphonieen treffen mein Ohr? —Beim Amor! ich will mich wie ein alt Weib verlieben, in einem alten bauflligen Haus wohnen, meinen zarten Leib in stinkenden Mistlaken baden, bloss um meine Phantasie zu scheren. Ist keine alte Hexe da, mit der ich scharmieren knnte? Ihre Runzeln sollen mir zu Wellenlinien der Schnheit werden; ihre herausstehende schwarze Zhne zu marmornen Sulen an Dianens Tempel; ihre herabhangende lederne Zitzen Helenens Busen bertreffen. Einen so aufzutrocknen, wie mich! —He, meine phantastische Gttin! —Wild, ich kann dir sagen, ich hab' mich brav gehalten die Tour her. Hab' Dinge gesehen, gefhlt, die kein Hund geschmeckt, keine Nase gerochen, kein Aug gesehen, kein Geist erschwungen—

WILD. Besonders wenn ich dir die Augen zuband. Ha! Ha!

LA FEU. Zum Orcus! du Ungestm! —Aber sag' mir nun auch einmal, wo sind wir in der wirklichen Welt jetzt? In London doch?

WILD. Freilich. Merktest du denn nicht, dass wir uns einschifften? Du warst ja seekrank.

LA FEU. Weiss von allem nichts, bin an allem unschuldig. —Lebt denn mein Vater noch? Schick doch einmal zu ihm, Wild, und lass ihm sagen, sein Sohn lebe noch. Kme soeben von den Pyrenischen Gebirgen aus Friesland. Weiter nichts.

WILD. Aus Friesland?

LA FEU. In welchem Viertel der Stadt sind wir dann?

WILD. In einem Feenschloss, La Feu! Siehst du nicht den goldnen Himmel? die Amors und Amouretten? die Damen und Zwergchen?

LA FEU. Bind' mir die Augen zu! (Wild bindet ihm zu.) Wild! Esel! Ochse! nicht zu hart! (Wild bindet ihn los.) He! Blasius, lieber, bissiger, kranker Blasius, wo sind wir?

BLASIUS. Was weiss ich?

WILD. Um euch einmal aus dem Traum zu helfen, so wisst, dass ich euch aus Russland nach Spanien fhrte, weil ich glaubte, der Knig fange mit dem Mogol Krieg an. Wie aber die spanische Nation trge ist, so war's auch hier. Ich packte euch also wieder auf, und nun seid ihr mitten im Krieg in Amerika. Ha! lass mich's nur recht fhlen, auf amerikanischem Boden zu stehen, wo alles neu, alles bedeutend ist. Ich trat ans Land—O dass ich keine Freude rein fhlen kann!

LA FEU. Krieg und Mord! o meine Gebeine! o meine Schutzgeister! —So gib mir doch ein Feenmrchen! o weh mir!

BLASIUS. Dass dich der Donner erschlg', toller Wild! was hast du wieder gemacht? Ist Donna Isabella noch? He! willst du reden? meine Donna!

WILD. Ha! Ha! Ha! du wirst ja einmal ordentlich aufgebracht.

BLASIUS. Aufgebracht? Einmal aufgebracht? Du sollst mir's mit deinem Leben bezahlen, Wild! Was? bin ich wenigstens ein freier Mensch. Geht Freundschaft so weit, dass du in deinen Rasereien einen durch die Welt schleppst wie Kuppelhunde? Uns in die Kutsche zu binden, die Pistole vor die Stirn zu halten, immer fort, klitsch! klatsch! In der Kutsche essen, trinken, uns fr Rasende auszugeben, In Krieg und Getmmel von meiner Passion weg, das einzige, was mir brig blieb—

WILD. Du liebst ja nichts, Blasius.

BLASIUS. Nein, ich liebe nichts. Ich hab's so weit gebracht, nichts zu lieben, und im Augenblick alles zu lieben, und im Augenblick alles zu vergessen. Ich betrge alle Weiber, dafr betrgen und betrogen mich alle Weiber. Sie haben mich geschunden und zusammengedrckt, dass Gott erbarm'! Ich hab' alle Figuren angenommen. Dort war ich Stutzer, dort Wildfang, dort tlpisch, dort empfindsam, dort Engellnder, und meine grsste Conquete machte ich, da ich nichts war. Das war bei Donna Isabella. Um wieder zurckzukommen—deine Pistolen sind geladen—

WILD. Du bist ein Narr, Blasius, und verstehst keinen Spass.

BLASIUS. Schner Spass dies! Greif zu! ich bin dein Feind den Augenblick.

WILD. Mit dir mich schiessen? Sieh, Blasius! Ich wnschte jetzt in der Welt nichts als mich herumzuschlagen, um meinem Herzen einen Lieblingsschmaus zu geben. Aber mit dir? Ha! Ha! (Hlt ihm die Pistole vor.) Sieh ins Mundloch und sag, ob dir's nicht grsser vorkommt als ein Tor in London? Sei gescheit, Freund! Ich brauch' und lieb' euch noch, und ihr mich vielleicht auch. Der Teufel konnte keine grssre Narren und Unglcksvgel zusammen fhren als uns. Deswegen mssen wir zusammen bleiben, und auch des Spasses halben. Unser Unglck kommt aus unserer eignen Stimmung des Herzens, die Welt hat dabei getan, aber weniger als wir.

BLASIUS. Toller Kerl! Ich bin ja ewig am Bratspiess.

LA FEU. Mich haben sie lebendig geschunden und mit Pfeffer eingepkelt. —Die Hunde!

WILD. Wir sind nun mitten im Krieg hier, die einzige Glckseligkeit, die ich kenne, im Krieg zu sein. Geniesst der Scenen, tut was ihr wollt.

LA FEU. Ich bin nicht fr'n Krieg.

BLASIUS. Ich bin fr nichts.

WILD. Gott mach euch noch matter! —Es ist mir wieder so taub vorm Sinn. So gar dumpf. Ich will mich ber eine Trommel spannen lassen, um eine neue Ausdehnung zu kriegen. Mir ist so weh wieder. O knnte ich in dem Raum dieser Pistole existieren, bis mich eine Hand in die Luft knallte! O Unbestimmtheit! wie weit, wie schief fhrst du die Menschen!

[Notes: 1: Friedrich Maximilian Klinger (1752-1831) was a fellow-townsman and friend of Goethe. His Sturm und Drang, which was at first named Wirrwarr, came out in 1776. The scene is 'America.' The speakers are Wild, a lusty and masterful man of action; Blasius, a blas worldling; and La Feu, a sentimental dreamer. They propose to try their fortunes in the French-Indian War.]

2

From Leisewitz' 'Julius of Tarentum,' Act 3, Scene 3.[2]

GUIDO, JULIUS

GUIDO. Julius, kannst du die Trnen eines Vaters ertragen? Ich kann's nicht.

JULIUS. Ach, Bruder, wie knnt' ich?

GUIDO. Meine ganze Seele ist aus ihrer Fassung, ich mchte mir das Gewhl einer Schlacht wnschen, um wieder zu mir selbst zu kommen. —Und das kann eine Trne? Ach, was ist der Mut fr ein wunderbares Ding! Fast mchte ich sagen, keine Strke der Seele, bloss Bekanntschaft mit einem Gegenstande—und wenn das ist, ich bitte dich, was hat der Held, den eine Trne ausser sich bringt, an innerer Wrde vor dem Weibe voraus, das vor einer Spinne auffhrt?

JULIUS. Bruder, wie sehr gefllt mir dieser dein Ton!

GUIDO. Mir nicht, wie kann mir meine Schwche gefallen! Ich fhle, dass ich nicht Guido bin. Wahrhaftig, ich zittre—o wenn das ist, so werd' ich bald auf die rechte Spur kommen!—ich hab' ein Fieber!

JULIUS. Seltsam—dass sich ein Mensch schmt, dass sein Temperament strker ist als seine Grundstze.

GUIDO. Lass uns nicht weiter davon reden!—meine jetzige Laune knnte darber verfliegen, und ich will sie nutzen! Man muss gewisse Entschlsse in diesem Augenblick ausfhren, aus Furcht, sie mchten uns in den knftigen gereuen. Du weisst es, Bruder, ich liebe Blancan, und habe meine Ehre zum Pfande gegeben, dass ich sie besitzen wollte. —Aber diese Trnen machen mich wankend.

JULIUS. Du setzest mich in Erstaunen.

GUIDO. Ich glaube meiner Ehre genug getan zu haben, wenn sie niemand anders besitzt, wenn sie bleibt, was sie ist—denn wer kann auf den Himmel eiferschtig sein? Aber du siehst, wenn ich meine Ansprche aufgebe, so musst du auch die deinigen, mit all den Entwrfen, sie jemals in Freiheit zu setzen, aufgeben. —Lass uns das tun, und wieder Brder und Shne sein! —Wie wird sich unser Vater freuen, wenn er uns beide zu gleicher Zeit am Ziel sieht, wenn wir beide aus dem Kampfe mit einander als Sieger zurckkommen, und keiner berwunden. —Und noch heute muss das geschehen, heut' an seinem Geburtstage.

JULIUS. Ach, Guido!

GUIDO. Eine entscheidende Antwort!

JULIUS. Ich kann nicht.

GUIDO. Du willst nicht? so kann ich auch nicht. Aber von nun an bin ich unschuldig an diesen vterlichen Trnen, ich schwr' es, ich bin unschuldig. Auch ich bekme meinen Anteil davon, sagt' er. —Siehe, ich wlze ihn hiemit auf dich. Dein ist die ganze Erbschaft von Trnen und Flchen!

JULIUS. Du bist ungerecht,—glaubst du denn, dass sich eine Leidenschaft so leicht ablegen lasse, wie eine Grille, und dass man die Liebe an- und ausziehen knne, wie einen Harnisch? —Ob ich will—ob ich will—wer liebt, will lieben und weiter nichts. —Liebe ist die grosse Feder in dieser Maschine; und hast du je eine so widersinnig knstliche Maschine gesehen, die selbst ein Rad treibt, um sich zu zerstren, und doch noch eine Maschine bleibt?

GUIDO. Ungemein fein, ungemein grndlich—aber unser armer Vater wird sterben!

JULIUS. Wenn das geschieht, so bist du sein Mrder! —Deine Eifersucht wird ihn tten, und hast du nicht eben gesagt, du knntest deine Ansprche aufgeben, wenn du wolltest—heisst das nicht gestehen, dass du sie nicht liebst, und doch bleibst du halsstarrig? Dein Aufgeben wr' nicht Tugend gewesen, aber dein Beharren ist Laster!

GUIDO. Bravo! Bravo! Das war unerwartet.

JULIUS. Und was meinst du denn?

GUIDO. Ich will mich erst ausfreuen, dass die Weisheit eben so eine schlanke geschmeidige Nymphe ist, als die Gerechtigkeit, eben so gut ihre Flle fr einen guten Freund hat. Ich knnte meine Ansprche aufgeben, wenn ich wollte? —Wenn die Ehre will! —Das ist die Feder in meiner Maschine—du kannst nichts tun, ohne die Liebe zu fragen, ich nichts, ohne die Ehre:—wir beide knnen also fr uns selbst nichts, das, denk' ich, ist doch wohl ein Fall.

JULIUS. Hat man je etwas so Unbilliges gehrt, die erste Triebfeder der menschlichen Natur mit der Grille einiger Toren zu vergleichen?

GUIDO. Einiger Toren! —Du rasest! —Ich verachte dich, wie tief stehst du unter mir! Ich halte meine Rhrung durch Trnen fr Schwachheit,—aber zu diesem Grade meiner Schwachheit ist deine Tugend noch nicht einmal gestiegen.

JULIUS. Es ist immer dein Fehler gewesen, ber Empfindungen zu urteilen, die du nicht kennst.

GUIDO. Und dabei immer ums dritte Wort von Tugend zu schwatzen! —Ich glaube, wenn du nun am Ziel deiner Wnsche bist und deinen Vater auf der Bahre siehst, so wirst du anstatt nach getaner Arbeit zu rasten, noch die Leichentrger unterrichten, was Tugend sei, oder was sie nicht sei!

JULIUS. Wie hab' ich mich geirrt! Bist du nicht schon wieder in deinem gewhnlichen Tone?

GUIDO. Siehe, du hoffest auf seinen Tod, kannst du das leugnen? Glaubst du, dass ich es nicht sehe, dass du alsdenn das Mdchen aus dem Kloster entfhren willst? —Es ist wahr, alsdann bist du Frst von Tarent, und ich bin nichts—als ein Mann. —Aber dein zartes Gehirnchen knnte zerreissen, wenn du das alles lebhaft dchtest, was ein Mann kann. —Gott sei Dank, es gibt Schwerter, und ich hab' einen Arm, der noch allenfalls ein Mdchen aus den weichen Armen eines Zrtlings reissen kann! Ruhig sollst du sie nicht besitzen, ich will einen Bund mit dem Geiste unsers Vaters machen, der an deinem Bette winseln wird.

JULIUS. Ich mag so wenig als unser Vater von dir im Affekt hren, was du tun willst. (Ab.)

[Notes: 2: Published in 1776—the same year with Klinger's Die Zwillinge, which also deals with fratricide. Julius, the crown prince, is a studious and romantic dreamer; Guido, a young hotspur. Their father has just been imploring them to end their futile quarrel over the girl Blanca, who has been sent to a nunnery. —Julius of Tarentum is by far the most important work of its author, Johann Anton Leisewitz (1752-1806).]

3

From Maler Mller's 'Golo and Genevieve,' Act 3, Scene 4.[3]

GOLO (hervor). Wie unruhig die Nacht! Hat mich der schnste Stern hervorgezischt? Oder war sie es selbst, die jetzt ebenso liebeunruhig im Grnen irret wie ein angeschossen Reh, meiner heissen Sehnsucht zu begegnen? Wie entglommen mein Herz! O Mathilde, du sagtest mir nicht alles; ich bin wohl glcklicher als ich es selbst gewusst.

Ach, ssses Glck der Liebe, Wer dich nicht kost, Des Lebens Freude kennt er nicht, Des Lebens besten Schatz.

Still! Was hr' ich droben am Fenster? Sie selbst, o Himmel! (Zieht sich in die Grotte.)

GENOVEVA (oben auf dem Altan). Die du alles bedeckst, Nacht, bedecke auch meinen Gram, ssse, liebe, heitere Nacht! Ich bin schon wieder froh. Was trauere ich denn auch? Was hat mein Herz verbrochen? (Singt.)

Viel lieber wollt' nicht leben Als mich dem Gram ergeben; Der Gram das Leben frisst.

Was nur der Waldbruder meinte? Sollte es mglich sein, grosser Gott, mglich? Golo ein Verrter an mir, an Siegfried, der ihn so brderlich liebt? Und warum sollt' er's sein? Worin? (Singt.)

Aufs sichere Nest kein Vogel geht, Auch Sturm es manchmal rttelt; Kein Baum im freien Walde weht, Den Winters Gewalt nicht schttelt. Was auf der Erde lebt und steht; Wechselt immer Schmerz und Wonne; Der Winter wohl nach Sommer geht, Nach Regen lacht die Sonne.

Also packt euch, ihr Grillen, wohin ihr wollt; ich mag nicht lnger mit euch zu schaffen haben. Wie angenehm der falbe Mondglanz zwischen den Bumen dort unten! Ich will auch hinunter, mich noch ein Weilchen erlaben, jetzt, da ich allein bin. Das will ich. (Ab.)

GOLO. Kommt sie herunter? Sie fliegt herunter meinen Armen zu. O Stunde, Stunde, bist du da? Ich hr', ich hr' sie schon; da ist sie, da bin ich, wie ber Wolken zu dir auf, himmlisches, seliges Wesen!

GENOVEVA. Wer hlt mich? Wer ist da? Himmel! Bin ich nicht allein?

GOLO. Ach, kannst du noch fragen? Ich bin's, Genoveva, ich, der schon so lange anbetet, nach dir lechzt wie der Hirsch nach frischem Trank, nach dir! Genoveva, Genoveva, du, selig machst du mich jetzt, selig! (Er kniet vor ihr und hlt sie.)

GENOVEVA. Edler Ritter, lasst ab, ich bitt' Euch; haltet ein, Ihr irrt.

GOLO. O Leben! Nimm mir das Leben! Teure, ich liebe Euch, liebe Euch.

GENOVEVA. Ihr liebt mich, Ritter? Wie? Ihr? Was sagt Ihr?

GOLO

Ach hier, wo sich mein Herz verlor, In sssen Jugendtagen, Ihr Stauden, hnget noch betrbt Von meinen schweren Klagen! O schau' hinauf ins Sternenchor, Sie werden's all dir sagen, Wie treu und rein der Ritter liebt, Der dir so ist ergeben. So rein ihr Schein, Steht hoffnungsfroh nach dir allein Mein Streben und mein Leben.

Erls' mich, schnstes Herz, eine arme Seele ans Flammen zu dir! Erbarme dich!

GENOVEVA (zitternd). Was wollt Ihr? Golo, Golo, was sprecht Ihr? Gedenkt doch—O nein, nein, es darf ja nicht—Schweigt doch, der Himmel hrt uns beide. Schaut um Euch, junger Ritter; in der Welt werdet Ihr noch eine schne Gemahlin finden, die Euch trsten darf; sprecht nicht so zu mir; ich vermag's ja nicht.

GOLO. O bei den Lichtern, die dort oben brennen, keine unter dem Himmel und auf Erden als du allein! Eh soll sich dies Herz so in Glut verzehren! Du allein, ssses, seliges Wesen, dein Abdruck, rein bis in den Tod.

GENOVEVA. O lasst mich, lasst mich, lasst mich doch, Ritter! Kann Euch nicht lnger anhren. O Himmel!

GOLO. Flieh nicht, Genovevchen, reissest mir die Seele mit weg. Ermorde mich, Grausame; gib mir den Tod; sage, du wollest mich nicht trsten; dein Zorn macht mich zur Leiche.

GENOVEVA. Golo! Ritter, bedenkt doch ums Himmels willen!

GOLO. Es ist vorbei, ich kann nicht. (Ksst ihre Hand.)

GENOVEVA. Halt!

GOLO. Engel, ssser Engel!

GENOVEVA. Falscher, was treibt Ihr? Unsinniger!

GOLO. Umsonst! Umsonst! (Umfasst sie und trgt sie der Hhle zu.)

GENOVEVA. Ungeheuer! Nicht edler Ritter! —Ihr droben, erbarmt euch mein! Hilfe! Hilfe!

(Dragones der Grotte zu.)

DRAGONES. Was gibt's hier? Steht! Wer ist's? —Eure Stimme, Grfin? Ehrenruber! Wer du auch bist, halt! Halt!

GOLO (lsst Genoveven los, schlgt den Mantel vor.) Hlle! O alles! Da, nimm's, ungebetener Hund!

DRAGONES. Weh mir! Bin verwundet! Hilfe! O Hilfe!

GOLO. Was soll ich nun? Genoveva! Was fang' ich nun an? Verflucht! Dort kommen mehr Leute. Ich muss flchten, bin verraten, verloren. Weh! Weh!

[Notes: 3: Friedrich Mller (1749-1825), commonly distinguished as Maler Mller, wrote his Golo und Genoveva between 1775 and 1781. Siegfried, Count Palatine, has gone to aid Charles Martel against the Moors, leaving his virtuous and saintly wife, Genevieve, in the care of his trusted vassal Golo. Inflamed by lust and perverted by evil counsels, Golo proves faithless to his trust. The scene is in Genevieve's castle-garden, where Golo has hidden in a grotto.]



LXXVI. THE GTTINGEN POETIC ALLIANCE

In the year 1772 a number of Gttingen youths formed a society for the cultivation of a vigorous Deutschtum in what they supposed to be the spirit of the forefathers. Klopstock was their hero, Wieland their aversion. They wrote songs, ballads, odes, idyls, elegies, etc., treating of freedom, virtue, love of country, the brave days of old; of nature and the seasons; of common folk and their employments. Their work accords with the general spirit of the 'Storm and Stress,' and here and there presages the romantic movement. Of the selections, Nos. 1, 4, 9 are by Count Friedrich Leopold Stolberg (1750-1819); Nos. 2, 5 by Johann Heinrich Voss (1751-1826); Nos. 3, 6, 10 by Ludwig Hlty (1748-1776); Nos. 7, 8 by Johann Martin Miller (1750-1814). See Krschner's Nationalliteratur, Vols. 49-50.

1

Die Freiheit.

Freiheit! Der Hfling kennt den Gedanken nicht, Sklave! Die Kette rasselt ihm Silberton! Gebeugt das Knie, gebeugt die Seele, Reicht er dem Joche den feigen Nacken.

Mir ein erhabner, schauergebrender 5 Wonne-Gedanke! Fre heit, ich fhle dich! Das ganze Herz, von dir erfllet, Strmet in voller Empfindung ber!

Nektar der Seele! Helden entflammtest du, Welchen die Nachwelt jedes Erstaunen weiht, 10 Du strktest sie! In Sklavenhnden Rostet der Stahl, wird entnervt der Bogen.

Wer fr die Freiheit, wer fr das Vaterland Mutig den Arm hebt, leuchtet im Blute wie Der Blitz des Nachtsturms; der Gefahren 15 Trbt ihm nicht eine die heitre Stirne.

Namen, mir festlich wie ein Triumphgesang: Brutus! Tell! Hermann! Cato! Timoleon! Im Herzen des, dem freie Seele Gott gab, mit Flammenschrift eingegraben. 20

2

An Goethe.[1]

Der du edel entbranntst, wo hochgelahrte Diener Justinians Banditen zogen, Die in Roms Labyrinthen Wrgen das Recht der Vernunft;

Freier Goethe, du darfst die goldne Fessel, Aus des Griechen Gesang geschmiedet, hhnen! Shakespeare drft' es und Klopstock, Shne gleich ihm der Natur!

Mag doch Heinrichs Homer,[2] im trgen Mohnkranz, Mag der grosse Corneill', am Aristarchen— Trone knieend, das Klatschen Staunender Leutlein erflehn!

Deutsch und eisern wie Gtz, sprich Hohn den Schurken— Mit der Fessel im Arm! Des Sumpfes Schreier Schmht der Leu zu zerstampfen, Wandelt durch Wlder und herrscht!

[Notes: 1: The ode, written in 1773, alludes to Goethe's newly published Gtz, in which there are some drastic comments on German legal procedure under the Code Justinian. 2: Allusion to Voltaire's Henriade.]

3

An Teuthard.[3]

Trotz jedem Ausland strmet Begeisterung In deutschen Seelen. Barden, ihr zeuget es, Die ihr von Sarons Palmen und von Heimischen Eichen euch Krnze wandet!

Mit schnellern Flgen als der Hesperier 5 Und Brite flogt ihr, Barden des Vaterlands, Zu Bragas Gipfel! Noch war Dmmrung; Dmmrung zerflog, und die Mittagssonne

Stand hoch am Himmel. —Muse Teutoniens, Du bietest deiner Schwester, der Britin, Trotz 10 Und berfleugst sie bald! Du lchelst, Muse, der gaukelnden Afterschwester,

Die in den goldnen Slen Lutetiens Ihr Liedchen klimpert. Schande dem Sohne Teuts, Der's durstig trinket, weil es Wollust 15 Durch die entloderten Adern strmet!

Kein deutscher Jngling whle das Mdchen sich, Das deutsche Lieder hasset und Buhlersang Des Galliers in ihre Laute Tndelnde Silberaccorde tnet! 20

Schwing deine Geissel, Snger der Tugend, schwing Die Feuergeissel, welche dir Braga gab, Die Natternbrut, die unsre deutsche Redlichkeit, Keuschheit und Treue ttet,

Zurckzustupen! Ich will, o Freund, indes, 25 Wenn deine Geissel brauset, des tollen Schwarms Am Busen eines deutschen Mdchens Unter den Blumen des Frhlings lachen.

[Notes: 3: Teuthard—poetic name for a rugged Old German—is Fritz Hahn, a member of the Alliance.]

4

Lied eines deutschen Knaben.

Mein Arm wird stark, und gross mein Mut, Gib, Vater mir ein Schwert! Verachte nicht mein junges Blut, Ich bin der Vter wert!

Ich finde frder keine Ruh 5 Im weichen Vaterland! Ich strb, o Vater, stolz wie du, Den Tod frs Vaterland!

Schon frh in meiner Jugend war Mein tglich Spiel der Krieg; 10 Im Bette trumt' ich nur Gefahr Und Wunden nur und Sieg.

Mein Feldgeschrei erweckte mich Aus mancher Trkenschlacht; Noch jngst ein Faustschlag, welchen ich 15 Dem Bassa zugedacht.

Da neulich unsrer Krieger Schar Auf dieser Strasse zog, Und, wie ein Vogel der Husar Das Haus vorberflog: 20

Da gaffte starr und freute sich Der Knaben froher Schwarm; Ich aber, Vater, hrmte mich Und prfte meinen Arm.

Mein Arm wird stark, und gross mein Mut, 25 Gib, Vater, mir ein Schwert! Verachte nicht mein junges Blut, Ich bin der Vter wert!

5

Trinklied fr Freie.

Mit Eichenlaub den Hut bekrnzt! Wohlauf! und trinkt den Wein, Der duftend uns entgegenglnzt! Ihn sandte Vater Rhein.

Ist einem noch die Knechtschaft wert, 5 Und zittert ihm die Hand, Zu heben Kolbe, Lanz' und Schwert, Wenn's gilt frs Vaterland:

Weg mit dem Schurken, weg von hier! Er kriech' um Schranzenbrot, 10 Und sauf' um Frsten sich zum Tier, Und bub'[4] und lstre Gott!

Und putze seinem Herrn die Schuh, Und fhre seinem Herrn Sein Weib und seine Tochter zu 15 Und trage Band und Stern!

Fr uns, fr uns ist diese Nacht, Fr uns der edle Trank! Man keltert' ihn, als Frankreichs Macht In Hchstdts[5] Tlern sank. 20

Drum, Brder, auf! den Hut bekrnzt! Und trinkt, und trinkt den Wein, Der duftend uns entgegenglnzt! Uns sandt' ihn Vater Rhein.

Uns rtet hohe Freiheitsglut, 25 Uns zittert nicht die Hand, Wir scheuten nicht des Vaters Blut, Gebt's das Vaterland.

Uns, uns gehret Hermann an, Und Tell, der Schweizerheld, 30 Und jeder freie deutsche Mann; Wer hat den Sand gezhlt?

[Notes: 4: Buben, 'indulge in shameless vice.' 5: At Hchstdt in Bavaria the French were defeated in 1704 by the English and Germans.]

6

Vaterlandslied.

Gesegnet mir, mein Vaterland, Wo ich so viele Tugend fand, Gesegnet mir, mein Vaterland!

Die Mnner haben Heldenmut, Verstrmen Patriotenblut, Sind edel auch dabei und gut.

Die Weiber sind den Engeln gleich, Es ist, frwahr, ein Himmelreich, Ihr Preislichen, zu schauen euch.

Sie lieben Zucht und Biedersinn. O selig Land, worin ich bin! O mcht' ich lange leben drin!

7

Lob der Alten.

Es leben die Alten, Die Mdchen und Wein Fr Mittel gehalten Sich weislich zu freun! Sie bten die Pflichten 5 Des Biedermanns aus Und lachten in Zchten Beim nchtlichen Schmaus.

Da lud man die Jugend Zum Mahle mit ein, 10 Und predigte Tugend Durch Taten allein; Man rhmte die Grossen, Die, tapfer und gut, Kein andres vergossen 15 Als feindliches Blut.

Dem Lande zu Ehren Nahm jeder sein Glas; Vergngen half's leeren, Doch hielten sie Mass, 20 Und lachten sich nchtern Und sangen in Ruh Von frhlichen Dichtern Ein Liedchen dazu.

Um Mitternacht schieden 25 Sie kssend vom Schmaus, Und kehrten in Frieden Zum Weibchen nach Haus. Es leben die Alten! Wir folgen dem Brauch, 30 Auf den sie gehalten, Und freuen uns auch.

8

Deutsches Trinklied.

Auf, ihr meine deutschen Brder, Feiern wollen wir die Nacht! Schallen sollen frohe Lieder, Bis der Morgenstern erwacht! Lasst die Stunden uns beflgeln! 5 Hier ist echter, deutscher Wein, Ausgepresst auf deutschen Hgeln Und gereift am alten Rhein!

Wer im fremden Tranke prasset, Meide dieses freie Land! 10 Wer des Rheines Gabe hasset, Trik' als Knecht am Marnestrand! Singt in lauten Wechselchren! Ebert, Hagedorn und Gleim Sollen uns Gesnge lehren; 15 Denn wir lieben deutschen Reim.

Trotz geboten allen denen, Die, mit Galliens Gezier, Unsre Nervensprache hhnen! Ihrer spotten wollen wir! 20 Ihrer spotten! Aber, Brder, Stark und deutsch, wie unser Wein, Sollen immer unsre Lieder Bei Gelag und Mahlen sein.

Unser Kaiser Joseph lebe! 25 Biedermann und deutsch ist er. Hermanns hoher Schatten schwebe Waltend um den Enkel her, Dass er, mutig in Gefahren, Sich dem Vaterlande weih', 30 Und in Kindeskinder-Jahren Muster aller Kaiser sei!

Jeder Frst im Lande lebe, Der es treu und redlich meint! Jedem wackern Deutschen gebe 35 Gott den wrmsten Herzensfreund, Und ein Weib in seine Htte, Das ihm sei ein Himmelreich, Und ihm Kinder geb', an Sitte Seinen braven Vtern gleich! 40

Leben sollen alle Schnen, Die, von fremder Torheit rein, Nur des Vaterlandes Shnen Ihren keuschen Busen weihn! Deutsche Redlichkeit und Treue 45 Macht uns ihrer Liebe wert: Drum wohlauf! der Tugend weihe Jeder-sich, der sie begehrt!

9

An die Natur.

Ssse, heilige Natur, Lass mich gehn auf deiner Spur! Leite mich an deiner Hand, Wie ein Kind am Gngelband!

Wenn ich dann ermdet bin, Rck ich dir am Busen hin, Atme ssse Himmelslust, Hangend an der Mutter Brust.

Ach, mir ist so wohl bei dir! Will dich lieben fr und fr. Lass mich gehn auf deiner Spur, Ssse, heilige Natur!

10

Frhlingslied.

Die Luft ist blau, das Tal ist grn, Die kleinen Maienglocken blhn Und Schlsselblumen drunter; Der Wiesengrund Ist schon so bunt Und malt sich tglich bunter.

Drum komme, wem der Mai gefllt, Und freue sich der schnen Welt Und Gottes Vatergte, Die diese Pracht Hervogebracht, Dem Baum und seine Blte.



LXXVII. GOTTFRIED AUGUST BRGER

1747-1794. The stormy decade 1770-1780, which quickened other germs of what was afterwards to be known as romanticism, brought with it a notable renascence of the ballad. By general consent the first place in the balladry of the time belongs to Brger's Lenore (1774). The uncanny supernaturalism and onomatop[oe]ic word-jingles, which had lent a mysterious fascination to many an old ballad, but had virtually disappeared from the lyric poetry of the reason-worshiping century, were here revived with telling effect.

Lenore.

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Trumen: "Bist untreu, Wilhelm, oder tot? Wie lange willst du sumen?" Er war mit Knig Friedrichs Macht 5 Gezogen in die Prager Schlacht, Und hatte nicht geschrieben, Ob er gesund geblieben.

Der Knig und die Kaiserin, Des langen Haders mde, 10 Erweichten ihren harten Sinn Und machten endlich Friede; Und jedes Heer, mit Sing und Sang, Mit Paukenschlag und Kling und Klang, Geschmckt mit grnen Reisern, 15 Zog heim zu seinen Husern.

Und berall all berall, Auf Wegen und auf Stegen, Zog alt und jung dem Jubelschall Der Kommenden entgegen. 20 Gottlob! rief Kind und Gattin laut, Willkommen! manche frohe Braut. Ach! aber fr Lenoren War Gruss und Kuss verloren.

Sie frug den Zug wohl auf und ab, 25 Und frug nach allen Namen; Doch keiner war, der Kundschaft gab, Von allen, so da kamen. Als nun das Heer vorber war, Zerraufte sie ihr Rabenhaar 30 Und warf sich hin zur Erde, Mit wtiger Gebrde.

Die Mutter lief wohl hin zu ihr:— "Ach, dass sich Gott erbarme! Du trautes Kind, was ist mit dir?"— 35 Und schloss sie in die Arme.— "O Mutter, Mutter, hin ist hin! Nun fahre Welt und alles hin! Bei Gott ist kein Erbarmen. O weh, o weh mir Armen!"— 40

"Hilf Gott, hilf! Sieh uns gndig an! Kind, bet' ein Vaterunser! Was Gott tut, das ist wohlgetan. Gott, Gott erbarmt sich unser!"— "O Mutter, Mutter, eitler Wahn! 45 Gott hat an mir nicht wohlgetan! Was half, was half mein Beten? Nun ist's nicht mehr von Nten."—

"Hilf Gott, hilf! wer den Vater kennt, Der weiss, er hilft den Kindern. 50 Das hochgelobte Sacrament Wird deinen Jammer lindern."— "O Mutter, Mutter, was mich brennt, Das lindert mir kein Sacrament! Kein Sacrament mag Leben 55 Den Toten wiedergeben."—

"Hr, Kind, wie wenn der falsche Mann, Im fernen Ungerlande, Sich seines Glaubens abgetan, Zum neuen Ehebande? 60 Lass fahren, Kind, sein Herz dahin! Er hat es nimmermehr Gewinn! Wann Seel' und Leib sich trennen, Wird ihn sein Meineid brennen."—

"O Mutter, Mutter, hin ist hin! 65 Verloren ist verloren! Der Tod, der Tod ist mein Gewinn! O wr' ich nie geboren! Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus! Stirb hin, stirb hin, in Nacht und Graus! 70 Bei Gott ist kein Erbarmen. O weh, o weh mir Armen!"—

"Hilf Gott, hilf! Geh nicht ins Gericht Mit deinem armen Kinde! Sie weiss nicht, was die Zunge spricht. 75 Behalt ihr nicht die Snde! Ach, Kind, vergiss dein irdisch Leid, Und denk' an Gott und Seligkeit! So wird doch deiner Seelen Der Brutigam nicht fehlen,"— 80

"O Mutter, was ist Seligkeit? O Mutter! Was ist Hlle? Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit, Und ohne Wilhelm Hlle!— Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus! 85 Stirb hin, stirb hin, in Nacht und Graus! Ohn ihn mag ich auf Erden, Mag dort nicht selig werden."—

So wtete Verzweifelung Ihr in Gehirn und Adern. 90 Sie fuhr mit Gottes Vorsehung Vermessen fort zu hadern; Zerschlug den Busen und zerrang Die Hand, bis Sonnenuntergang, Bis auf am Himmelsbogen 95 Die goldnen Sterne zogen.

Und aussen, horch! ging's trap trap trap, Als wie von Rosses Hufen; Und klirrend stieg ein Reiter ab, An des Gelnders Stufen. 100 Und horch! und horch! den Pfortenring Ganz lose, leise, klinglingling! Dann kamen durch die Pforte Vernehmlich diese Worte:

"Holla! Holla! Tu auf, mein Kind! 105 Schlfst, Liebchen, oder wachst du? Wie bist noch gegen mich gesinnt? Und weinest oder lachst du?"— "Ach, Wilhelm, du? —So spt bei Nacht?— Geweinet hab ich und gewacht; 110 Ach, grosses Leid erlitten! Wo kommst du hergeritten?"—

"Wir satteln nur um Mitternacht. Weit ritt ich her von Bhmen. Ich habe spt mich aufgemacht, 115 Und will dich mit mir nehmen."— "Ach, Wilhelm, erst herein geschwind! Den Hagedorn durchsaust der Wind, Herein, in meinen Armen, Herzliebster, zu erwarmen!"— 120

"Lass sausen durch den Hagedorn, Lass sausen, Kind, lass sausen! Der Rappe scharrt, es klirrt der Sporn, Ich darf allhier nicht hausen. Komm, schrze, spring und schwinge dich 125 Auf meinen Rappen hintermich! Muss heut noch hundert Meilen Mit dir ins Brautbett eilen."—

"Ach, wolltest hundert Meilen noch Mich heut ins Brautbett tragen? 130 Und horch! es brummt die Glocke noch, Die elf schon angeschlagen."— "Sieh hin, sieh her! der Mond scheint hell. Wir und die Toten reiten schnell. Ich bringe dich, zur Wette, 135 Noch heut ins Hochzeitbette."—

"Sag' an, wo ist dein Kmmerlein? Wo? Wie dein Hochzeitbettchen?"— "Weit, weit von hier! —Still, khl und klein!— Sechs Bretter und zwei Brettchen!"— 140 "Hat's Raum fr mich?" —"Fr dich und mich! Komm, schrze, spring und schwinge dich! Die Hochzeitgste hoffen; Die Kammer steht uns offen."—

Schn Liebchen schrzte, sprang und schwang 145 Sich auf das Ross behende; Wohl um den trauten Reiter schlang Sie ihre Lilienhnde. Und hurre hurre, hop hop hop, Ging's fort im sausenden Galopp, 150 Dass Ross und Reiter schnoben, Und Kies und Funken stoben.

Zur rechten und zur linken Hand Vorbei vor ihren Blicken, Wie flogen Anger, Heid' und Land! 155 Wie donnerten die Brcken! "Graut Liebchen auch? —Der Mond scheint hell! Hurra! die Toten reiten schnell! Graut Liebchen auch vor Toten?"— "Ach, nein! —Doch lass die Toten!" 160

Was klang dort fr Gesang und Klang? Was flatterten die Raben? Horch Glockenklang! horch Totensang: "Lasst uns den Leib begraben!" Und nher zog ein Leichenzug, 165 Der Sarg und Totenbahre trug. Das Lied war zu vergleichen Dem Unkenruf in Teichen.

"Nach Mitternacht begrabt den Leib, Mit Klang und Sang und Klage! 170 Jetzt fhr' ich heim mein junges Weib. Mit, mit zum Brautgelage! Komm, Kster, hier! Komm mit dem Chor, Und gurgle mir das Brautlied vor! Komm, Pfaff, und sprich den Segen, 175 Eh wir zu Bett uns legen!"—

Still Klang und Sang. —Die Bahre schwand.— Gehorsam seinem Rufen, Kam's hurre hurre! nachgerannt, Hart hinters Rappen Hufen. 180 Und immer weiter, hop hop hop! Ging's fort im sausenden Galopp, Dass Ross und Reiter schnoben. Und Kies und Funken stoben.

Wie flogen rechts, wie flogen links 185 Gebirge, Bum' und Hecken! Wie flogen links, und rechts, und links Die Drfer, Stdt' und Flecken! "Graut Liebchen auch? —Der Mond scheint hell! Hurra! die Toten reiten schnell! 190 Graut Liebchen auch vor Toten?"— "Ach! Lass sie ruhn, die Toten!"—

Sieh da! sieh da! Am Hochgericht Tanzt' um des Rades Spindel Halb sichtbarlich, bei Mondenlicht, 195 Ein lustiges Gesindel.— "Sasa! Gesindel, hier! Komm hier! Gesindel, komm und folge mir! Tanz uns den Hochzeitreigen, Wann wir zu Bette steigen!"— 200

Und das Gesindel husch husch husch! Kam hinten nachgeprasselt, Wie Wirbelwind am Haselbusch Durch drre Bltter rasselt Und weiter, weiter, hop hop hop! 205 Ging's fort irn sausenden Galopp, Dass Ross und Reiter schnoben, Und Kies und Funken stoben.

Wie flog, was rund der Mond beschien, Wie flog es in die Ferne! 210 Wie flogen oben ber hin Der Himmel und die Sterne!— "Graut Liebchen auch? —Der Mond scheint hell! Hurra! die Toten reiten schnell! Graut Liebchen auch vor Toten?"— 215 "O weh, lass ruhn die Toten!"—

"Rapp'! Rapp'! Mich dnkt, der Hahn schon ruft.— Bald wird der Sand verrinnen— Rapp'! Rapp'! Ich wittre Morgenluft— Rapp'! Tummle dich von hinnen!— 220 Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf! Das Hochzeitbette tut sich auf! Die Toten reiten schnelle! Wir sind, wir sind zur Stelle!"—

Rasch auf ein eisern Gittertor 225 Ging's mit verhngtem Zgel. Mit schlanker Gert' ein Schlag davor Zersprengte Schloss und Riegel. Die Flgel flogen klirrend auf, Und ber Grber ging der Lauf. 230 Es blinkten Leichensteine Rund um im Mondenscheine.

Ha sieh! Ha sieh! im Augenblick Huhu! ein grsslich Wunder! Des Reiters Koller, Stck fr Stck, 235 Fiel ab wie mrber Zunder. Zum Schdel, ohne Schpf und Zopf, Zum nackten Schdel ward sein Kopf; Sein Krper zum Gerippe, Mit Stundenglas und Hippe. 240

Hoch bumte sich, wild schnob der Rapp', Und sprhte Feuerfunken; Und hui! war 's unter ihr hinab Verschwunden und versunken. Geheul! Geheul aus hoher Luft, 245 Gewinsel kam aus tiefer Gruft. Lenorens Herz, mit Beben, Rang zwischen Tod und Leben.

Nun tanzten wohl bei Mondenglanz, Rund um herum im Kreise, 250 Die Geister einen Kettentanz, Und heulten diese Weise: "Geduld! Geduld! Wenn's Herz auch bricht! Mit Gott im Himmel hadre nicht! Des Leibes bist du ledig; 255 Gott sei der Seele gndig!"



LXXVIII. FRIEDRICH SCHILLER

1759-1805. The more important work of Schiller falls without the limit set for this book. His contribution to the literature of revolution begins with the Robbers (1781), a fierce castigation of the social order, and ends with Cabal and Love (1784), which is the only family tragedy of that time that has survived on the stage. The dramatic genius which was to give Schiller the supreme place in the history of the German theater appears full-fledged in his early plays, not, however, his self-control, his wisdom, or his knowledge of human nature.

1

Lied Amaliens.

Schn wie Engel, voll Walhallas Wonne, Schn vor allen Jnglingen war er, Himmlisch mild sein Blick, wie Maiensonne Rckgestrahlt vom blauen Spiegelmeer.

Seine Ksse—paradiesisch Fhlen! Wie zwo Flammen sich ergreifen, wie Harfentne in einander spielen Zu der himmelvollen Harmonie,—

Strzten, flogen, schmolzen Geist und Geist zusammen, Lippen, Wangen brannten, zitterten,— Seele rann in Seele—Erd' und Himmel schwammen Wie zerronnen um die Liebenden!

Er ist hin—vergebens, ach, vergebens Sthnet ihm der bange Seufzer nach! Er ist hin, und alle Lust des Lebens Wimmert hin in ein verlorenes Ach!

2

Die Entzckung an Laura.

Laura, ber diese Welt zu flchten Whn' ich—mich in Himmelmaienglanz zu lichten, Wenn dein Blick in meine Blicke flimmt; therlfte trum' ich einzusaugen, Wenn mein Bild in deiner sanften Augen 5 Himmelblauem Spiegel schwimmt.

Leierklang aus Paradieses Fernen, Harfenschwung aus angenehmern Sternen, Ras' ich in mein trunknes Ohr zu ziehn; Meine Muse fhlt die Schferstunde, 10 Wenn von deinem wollustheissen Munde Silbertne ungern fliehn.

Amoretten seh' ich Flgel schwingen, Hinter dir die trunknen Fichten springen, Wie von Orpheus' Saitenruf belebt; 15 Rascher rollen um mich her die Pole, Wenn im Wirbeltanze deine Sohle Flchtig, wie die Welle, schwebt.

Deine Blicke, wenn sie Liebe lcheln, Knnten Leben durch den Marmor fcheln, 20 Felsenadern Pulse leihn; Trume werden um mich her zu Wesen, Kann ich nur in deinen Augen lesen: Laura, Laura mein!

3

From the 'Robbers,' Act 3, Scene 2.

Gegend an der Donau.

DIE RUBER,[1] gelagert auf einer Anhhe unter Bumen, die Pferde weiden am Hgel hinunter.

MOOR. Hier muss ich liegen bleiben (wirft sich auf die Erde). Meine Glieder wie abgeschlagen. Meine Zunge trocken, wie eine Scherbe. (Schweizer verliert sich unbemerkt.) Ich wollt' euch bitten, mir eine Handvoll Wrassers aus diesem Strome zu holen; aber ihr seid alle matt bis in den Tod.

SCHWARZ. Auch ist der Wein all in unsern Schluchen.

MOOR. Seht doch, wie schn das Getreide steht! —Die Bume brechen fast unter ihrem Segen—der Weinstock voll Hoffnung.

GRIMM. Es gibt ein fruchtbares Jahr.

MOOR. Meinst du? —Und so wrde doch Ein Schweiss in der Welt bezahlt. Einer? —Aber es kann ja ber Nacht ein Hagel fallen und alles zu Grund schlagen.

SCHWARZ. Das ist leicht mglich. Es kann alles zu Grund gehen, wenig Stunden vorm Schneiden.

MOOR. Das sag' ich ja. Es wird alles zu Grund gehen. Warum soll dem Menschen das gelingen, was er von der Ameise hat, wenn ihm das fehlschlgt, was ihn den Gttern gleich macht? —Oder ist hier die Mark seiner Bestimmung?

SCHWARZ. Ich kenne sie nicht.

MOOR. Du hast gut gesagt und noch besser getan, wenn du sie nie zu kennen verlangtest! —Bruder—ich habe die Menschen gesehen, ihre Bienensorgen und ihre Riesenprojekte—ihre Gtterplne und ihre Musegeschfte, das wundersame Wettrennen nach Glckseligkeit;—dieser dem Schwung seines Rosses anvertraut—ein anderer der Nase eines Esels—ein dritter seinen eignen Beinen; dieses bunte Lotto des Lebens, worein so mancher seine Unschuld und—seinen Himmel setzt, einen Treffer zu haschen, und—Nullen sind der Auszug—am Ende war kein Treffer darin. Es ist ein Schauspiel, Bruder, das Trnen in die Augen lockt, wenn es dein Zwerchfell zu Gelchter kitzelt.

SCHWARZ. Wie herrlich die Sonne dort untergeht!

MOOR (in den Blick verschwemmt). So stirbt ein Held! —Anbetungswrdig!

GRIMM. Du scheinst tief gerhrt.

MOOR. Da ich noch ein Bube war—war's mein Lieblingsgedanke, wie sie zu leben, zu sterben wie sie— (Mit verbissenem Schmerz) Es war ein Bubengedanke!

GRIMM. Das will ich hoffen.

MOOR (drckt den Hut bers Gesicht). Es war eine Zeit—Lasst mich allein, Kameraden!

SCHWARZ. Moor! Moor! Was zum Henker! Wie er seine Farbe verndert!

GRIMM. Alle Teufel! Was hat er? Wird ihm bel?

MOOR. Es war eine Zeit, wo ich nicht schlafen konnte, wenn ich mein Nachtgebet vergessen hatte—

GRIMM. Bist du wahnsinnig? Willst du dich von deinen Bubenjahren hofmeistern lassen?

MOOR (legt sein Haupt auf Grimms Brust.) Bruder! Bruder!

GRIMM. Wie? Sei doch kein Kind! Ich bitte dich—

MOOR. Wr' ich's,—wr' ich's wieder!

GRIMM. Pfui! Pfui!

SCHWARZ. Heitre dich auf! Sieh diese malerische Landschaft—den lieblichen Abend.

MOOR. Ja, Freunde, diese Welt ist so schn.

SCHWARZ. Nun, das war wohl gesprochen.

MOOR. Diese Erde so herrlich.

GRIMM. Recht—recht—so hr' ich's gerne.

MOOR (zurckgesunken). Und ich so hsslich auf dieser schnen Welt—und ich ein Ungeheuer auf dieser herrlichen Erde.

GRIMM. O weh! o weh!

MOOR. Meine Unschuld! Meine Unschuld! —Seht, es ist alles hinausgegangen, sich im friedlichen Strahl des Frhlings zu sonnen—warum ich allein die Hlle saugen aus den Freuden des Himmels? —Dass alles so glcklich ist, durch den Geist des Friedens alles so verschwistert! —Die ganze Welt Eine Familie, und Ein Vater dort oben—Mein Vater nicht—Ich allein der Verstossene, ich allein ausgemustert aus den Reihen der Reinen—mir nicht der ssse Name Kind—nimmer mir der Geliebten schmachtender Blick—nimmer, nimmer des Busenfreunds Umarmung! (Wild zurckfahrend) Umlagert von Mrdern—von Nattern umzischt—angeschmiedet an das Laster mit eisernen Banden—hinausschwindelnd ins Grab des Verderbens auf des Lasters schwankendem Rohr—mitten in den Blumen der glcklichen Welt ein heulender Abbadona!

SCHWARZ (zu den brigen). Unbegreiflich! Ich habe ihn nie so gesehen.

GRIMM (zu den andern). Nur Geduld! Der Paroxysmus ist schon im Fallen.

MOOR. Es war eine Zeit, wo sie mir so gern flssen—o ihr Tage des Friedens! Du Schloss meines Vaters—ihr grnen schwrmerischen Tler! O all ihr Elysiumszenen meiner Kindheit! —Werdet ihr nimmer zurckkehren—nimmer mit kstlichem Suseln meinen brennenden Busen khlen? —Dahin! dahin! unwiederbringlich!

[Notes: 1: Count Karl Moor, having been cast off by his father, through the machinations of his villainous younger brother Franz, has declared war on society and become captain of a band of robbers. But he is no selfish criminal, and his better nature often asserts itself, as in this scene.]

4

From 'Cabal and Love,' Act 1, Scene 4.

FERDINAND VON WALTER. LOUISE.[2]

(Er fliegt auf sie zu—sie sinkt entfrbt und matt auf einen Sessel—er bleibt vor ihr stehen—sie sehen sich eine Zeitlang stillschweigend an. Pause.)

FERDINAND. Du bist blass, Louise?

LOUISE (steht auf und fllt ihm um den Hals). Es ist nichts! nichts! Du bist ja da! Es ist vorber!

FERDINAND (ihre Hand nehmend und zum Munde fhrend). Und liebt mich meine Louise noch? Ich fliege nur her, will sehen, ob du heiter bist, und gehn und es auch sein. —Du bist's nicht.

LOUISE. Doch, doch, mein Geliebter.

FERDINAND. Rede mir Wahrheit! Du bist's nicht. Ich schaue durch deine Seele wie durch das klare Wasser dieses Brillanten. (Er zeigt auf seinen Ring.) Hier wirft sich kein Blschen auf, das ich nicht merkte—kein Gedanke tritt in dies Angesicht, der mir entwischte. Was hast du? Geschwind! Weiss ich nur diesen Spiegel helle, so luft keine Wolke ber die Welt. Was bekmmert dich?

LOUISE (sieht ihn eine Weile stumm und bedeutend an, dann mit Wehmut). Ferdinand! Ferdinand! Dass du noch wsstest, wie schn in dieser Sprache das brgerliche Mdchen sich ausnimmt—

FERDINAND. Was ist das? (Befremdet) Mdchen! Hre! Wie kommst du auf das? —Du bist meine Louise! Wer sagt dir, dass du noch etwas sein solltest? Siehst du, Falsche, auf welchem Kaltsinn ich dir begegnen muss. Wrest du ganz nur Liebe fr mich, wann httest du Zeit gehabt, eine Vergleichung zu machen? Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine Vernunft in einen Blick—in einen Traum von dir, wenn ich weg bin, und du hast noch eine Klugheit neben deiner Liebe? —Schme dich! Jeder Augenblick, den du an diesen Kummer verlorst, war deinem Jngling gestohlen.

LOUISE (fasst seine Hand, indem sie den Kopf schttelt). Du willst mich einschlfern, Ferdinand—willst meine Augen von diesem Abgrund hinweglocken, in den ich ganz gewiss strzen muss. Ich seh' in die Zukunft—die Stimme des Ruhms—deine Entwrfe—dein Vater—mein Nichts. (Erschrickt und lsst pltzlich seine Hand fahren.) Ferdinand! Ein Dolch ber dir und mir! —Man trennt uns!

FERDINAND. Trennt uns! (Er springt auf.) Woher bringst du diese Ahnung, Louise? Trennt uns? —Wer kann den Bund zwoer Herzen lsen oder die Tne eines Akkords auseinander reissen? —Ich bin ein Edelmann—Lass doch sehen, ob mein Adelsbrief lter ist als der Riss zum unendlichen Weltall? oder mein Wappen giltiger als die Handschrift des Himmels in Louisens Augen: dieses Weib ist fr diesen Mann? —Ich bin des Prsidenten Sohn. Eben darum. Wer als die Liebe kann mir die Flche versssen, die mir der Landeswucher meines Vaters vermachen wird?

LOUISE. O wie sehr furcht' ich ihn—diesen Vater!

FERDINAND. Ich frchte nichts—nichts—als die Grenzen deiner Liebe! Lass auch Hindernisse wie Gebirge zwischen uns treten, ich will sie fr Treppen nehmen und drber hin in Louisens Arme fliegen. Die Strme des widrigen Schicksals sollen meine Empfindung emporblasen, Gefahren werden meine Louise nur reizender machen. —Also nichts mehr von Furcht, meine Liebe! Ich selbst—ich will ber dir wachen, wie der Zauberdrach ber unterirdischem Golde. —Mir vertraue dich! Du brauchst keinen Engel mehr—Ich will mich zwischen dich und das Schicksal werfen—empfangen fr dich jede Wunde—auffassen fr dich jeden Tropfen aus dem Becher der Freude—dir ihn bringen in der Schale der Liebe. (Sie zrtlich umfassend) An diesem Arm soll meine Louise durchs Leben hpfen; schner als er dich von sich liess soll der Himmel dich wieder haben und mit Verwunderung eingestehen, dass nur die Liebe die letzte Hand an die Seelen legte.—

LOUISE (drckt ihn von sich in grosser Bewegung). Nichts mehr! Ich bitte dich, schweig! —Wsstest du—lass mich—Du weisst nicht, dass deine Hoffnungen mein Herz wie Furien anfallen. (Will fort.)

FERDINAND (hlt sie auf). Louise? Wie? Was? Welche Anwandlung?

LOUISE. Ich hatte diese Trume vergessen und war glcklich—jetzt! Jetzt! Von heut an!—der Friede meines Lebens ist aus—Wilde Wnsche—ich weiss es—werden in meinem Busen rasen. —Geh—Gott vergebe dir's! —Du hast den Feuerbrand in mein junges friedsames Herz geworfen, und er wird nimmer, nimmer gelscht werden. (Sie strzt hinaus. Er folgt ihr sprachlos nach.)

[Notes: 2: Louise is the daughter of a middle-class musician. She has not yet heard of any plot (the 'cabal' comes later) to separate her from her noble lover, whose intentions are honorable; but her father's uneasiness and her own instinctive class-feeling fill her with dismay.]

5

From a Discourse on the Theater, read before the German Society of Mannheim in 1784.

Noch ein Verdienst hat die Bhne—ein Verdienst, das ich jetzt um so lieber in Anschlag bringe, weil ich vermute, dass ihr Rechtshandel mit ihren Verfolgern ohnehin schon gewonnen sein wird. Was bisher zu beweisen unternommen worden, dass sie auf Sitten und Aufklrung wesentlich wirke, war zweifelhaft—dass sie unter allen Erfindungen des Luxus und allen Anstalten zur gesellschaftlichen Ergtzlichkeit den Vorzug verdiene, haben selbst ihre Feinde gestanden. Aber was sie hier leistet, ist wichtiger als man gewhnt ist zu glauben.

Die menschliche Natur ertrgt es nicht, ununterbrochen und ewig auf der Folter der Geschfte zu liegen, die Reize der Sinne sterben mit ihrer Befriedigung. Der Mensch, berladen vom tierischem Genuss, der langen Anstrengung mde, vom ewigen Triebe nach Ttigkeit geqult, drstet nach bessern auserlesenem Vergngungen, oder strzt zgellos in wilde Zerstreuungen, die seinen Hinfall beschleunigen und die Ruhe der Gesellschaft zerstren. Bacchantische Freuden, verderbliches Spiel, tausend Rasereien, die der Mssiggang ausheckt, sind unvermeidlich, wenn der Gesetzgeber diesen Hang des Volkes nicht zu lenken weiss. Der Mann von Geschften ist in Gefahr, ein Leben, das er dem Staat so grossmtig hinopferte, mit dem unseligen Spleen abzubssen—der Gelehrte zum dumpfen Pedanten herabzusinken—der Pbel zum Tier. Die Schaubhne ist die Stiftung, wo sich Vergngen mit Unterricht, Ruhe mit Anstrengung, Kurzweil mit Bildung gattet, wo keine Kraft der Seele zum Nachteil der andern gespannt, kein Vergngen auf Unkosten des Ganzen genossen wird. Wenn Gram an dem Herzen nagt, wenn trbe Laune unsre einsamen Stunden vergiftet, wenn uns Welt und Geschfte anekeln, wenn tausend Lasten unsre Seele drcken, und unsre Reizbarkeit unter Arbeiten des Berufs zu ersticken droht, so empfngt uns die Bhne—in dieser knstlichen Welt trumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wiedergegeben, unsre Empfindung erwacht, heilsame Leidenschaften erschttern unsre schlummernde Natur und treiben das Blut in frischeren Wallungen. Der Unglckliche weint hier mit fremdem Kummer seinen eignen aus—der Glckliche wird nchtern und der Sichere besorgt. Der empfindsame Weichling hrtet sich zum Manne, der rohe Unmensch fngt hier zum ersten Mal zu empfinden an. Und dann endlich—welch ein Triumph fr dich, Natur!—so oft zu Boden getretene, so oft wieder auferstehende Natur!—wenn Menschen aus allen Kreisen und Zonen und Stnden, abgeworfen jede Fessel der Knstelei und der Mode, herausgerissen aus jedem Drange des Schicksals, durch Eine allwebende Sympathie verbrdert, in Ein Geschlecht wieder aufgelst, ihrer selbst und der Welt vergessen und ihrem himmlischen Ursprung sich nhern! Jeder einzelne geniesst die Entzckungen aller, die verstrkt und verschnert aus hundert Augen auf ihn zurckfallen, und seine Brust gibt jetzt nur Einer Empfindung Raum—es ist diese: ein Mensch zu sein.



END OF PART SECOND

* * * * * * * * * * * * * *

Line Numbers:

The printed book was intended for classroom use. Lines within each selection, both prose and verse, were numbered continuously. These numbers are not used for anything else in the text, such as footnotes or cross-references. In this e-text, prose passages have been rewrapped, discarding the original line breaks. Where the line numbers of the source text are given, verse passages have been renumbered accordingly. Line counts will not always match the stated numbers.

Errata (Noted by Transcriber):

XVIII. THE LAY OF THE NIBELUNGS: Adventure 16: Da konnt' ihm nicht entrinnen / Knig Gunters Untertan. text reads "Gunthers" XXIII. HARTMANN VON AUE anomalous section headers (I, II instead of 1, 2) unchanged XXVIII. Poems of the Dietrich-Saga: Note 3: Ecke is a redoutable young giant spelling unchanged XL. MARTIN LUTHER: 3: Epistle on Translating: obs gleich die Lateinische oder Griechische Sprache nicht thut, text reads "nicht hut" with space for "t" XLIV. HANS SACHS: 2: Das heiss Eysen: Die alt GEFATTERIN spricht: Das WEIB spricht: Die GFATTER / bringt das glent eysen ... text unchanged (elsewhere "GEFATTER" and "FRAW") XLVIII. JAKOB AYRER ROLANDT, ROLLANDT, ROLAND spellings unchanged LXIII. JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED: 15 der Orakel, darber Iocasta vorher gespottet hatte text reads "daruber" LXIV. JOHANN JAKOB BODMER zuunterscheiden, zufixieren, zuloben ... forms without space are normal for this author LXVII. FRIEDRICH VON HAGEDORN: 5: Johann, der Seifensieder: Da hast du bare funfzig Thaler spelling unchanged LXX. FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK: 1: 'Messiah' 1-137 Und der Seraph ... 55 line number printed 45

Punctuation

All quotation marks, single or double, are as in the original. The German "low 9 - high 6" form was not used.

XXIV. WOLFRAM VON ESCHENBACH: Parzival 3:449 Die's Euch doch wenig zugedacht." close quote missing XXIX. MEYER HELMBRECHT: Lines 1703: "Haha! Du dieb'scher Schuft, Helmbrecht, open quote missing XXXV. REYNARD THE FOX: 1: Wird vor dem Abte angeklagt." close quote missing XLIV. HANS SACHS: 2: Das heiss Eysen: Es ist mir um das Herz, 'I am concerned,' 'it is my wish.' final close quote missing XLV. FOLKSONGS OF THE SIXTEENTH CENTURY: Note 17 Kappen = Narrenkappen. period (full stop) missing XLVI. THE CHAPBOOKS: 5: Faustbook: Abendts oder vmb Vesperzeit text reads "ABendts" XLIX. GEORG RODOLF WECKHERLIN: Note 1 Nehmend war = wahrnehmend. period (full stops) missing L. MARTIN OPITZ zue besserer fortpflantzung[1] vnserer sprachen, text has period (full stop) for comma L. MARTIN OPITZ: Note 1 They propose to try their fortunes in the French-Indian War. period (full stops) missing L. MARTIN OPITZ: Note 1 The scene is 'America.' text has comma for period (full stop) LVI. FRIEDRICH SPE O Gott, knnt ichs erwerben! middle "e" in "erwerben" invisible LXX. FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK: 4: Hermann und Thusnelda. [section title] period (full stops) missing LXXV. MINOR DRAMATISTS OF THE STORM AND STRESS ERA: Introduction For the texts see Krschner's Nationalliteratur, Vols. ... period (full stops) missing

THE END

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