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An anthology of German literature
by Calvin Thomas
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[Notes: 1: The verses were addressed to Karl Wilhelm Ramier. 2: Lange; Samuel Gotthold Lange, a friend of Kleist's.]



LXVII. FRIEDRICH VON HAGEDORN

A pleasing and popular, but not profound, North German poet of the Gottschedian era (1708-1754). He lived in Hamburg, where he held a comfortable position in a commercial house. His writings consist of songs, odes, fables, epigrams, poetic tales, etc., which reflect an easy-going temperament and commend the carpe diem philosophy of Horace. The text of the selections follows Krschner's Nationalliteratur, Vol. 45.

1

An die Dichtkunst.

Gespielin meiner Nebenstunden, Bei der ein Teil der Zeit verschwunden, Die mir, nicht andern, zugehrt: O Dichtkunst, die das Leben lindert! Wie manchen Gram hast du vermindert, 5 Wie manche Frhlichkeit vermehrt!

Die Kraft der Helden Trefflichkeiten Mit tapfern Worten auszubreiten, Verdankt Homer und Maro dir. Die Fhigkeit, von hohen Dingen 10 Den Ewigkeiten vorzusingen, Verliehst du ihnen und nicht mir.

Die Lust, vom Wahn mich zu entfernen, Und deinem Flaccus abzulernen, Wie man durch echten Witz gefllt; 15 Die Lust, den Alten nachzustreben, Ist mir im Zorn von dir gegeben, Wenn nicht mein Wunsch das Ziel erhlt.

Zu eitel ist das Lob der Freunde: Uns drohen in der Nachwelt Feinde, 20 Die finden unsre Grsse klein. Den itzt an Liedern reichen Zeiten Empfehl' ich diese Kleinigkeiten: Sie wollen nicht unsterblich sein.

2

Die verliebte Verzweiflung.

Gewiss, der ist beklagenswerth, Den seine Gttin nicht erhrt, Dem alle Seufzer nichts erwerben. Er muss fast immer schlaflos sein Und weinen, girren, winseln, schrein, 5 Sich martern und dann sterben.

"Grausame Laura," rief Pedrill, "Grausame, die mein Unglck, will, Fr dich muss ich noch heut erblassen." Stracks rennet er in vollem Lauf 10 Bis an des Hauses Dach hinauf Und guckt dort in die Gassen.

Bald, als er Essen sah und roch, Befragt' er sich: "Wie! leb' ich noch?" Und zog ein Messer aus der Scheiden. 15 "O Liebe," sagt er, "deiner Wut Weih' ich den Mordstahl und mein Blut,"— Und fing an Brot zu schneiden.

Nach glcklich eingenomm'nem Mahl Erwgt er seine Liebesqual 20 Und will nunmehr durch Gift erbleichen. Er ffnet eine Flasche Wein Und lsst, des Giftes voll zu sein, Sich noch die zweite reichen.

Hernach verflucht er sein Geschick 25 Und holet Schemel, Nagel, Strick, Und schwrt, nun soll die That geschehen. Doch ach! was kann betrbter sein? Der Strick ist schwach, der Nagel klein, Der Schemel will nicht stehen. 30

Er whlt noch eine Todesart Und denkt: "Wer sich ersticht, der spart Und darf fr Gift und Strick nicht sorgen." Drauf ghnt er, seufzet, eilt zur Ruh, Kriecht in sein Bett und deckt sich zu 35 Und schlft bis an den Morgen.

3

An die Freude.

Freude, Gttin edler Herzen, Hre mich! Lass die Lieder, die hier schallen, Dich vergrssern, dir gefallen; Was hier tnet, tnt durch dich. 5

Muntre Schwester ssser Liebe! Himmelskind! Kraft der Seelen! Halbes Leben! Ach! was kann das Glck uns geben, Wenn man dich nicht auch gewinnt? 10

Stumme Hter toter Schtze Sind nur reich. Dem, der keinen Schatz bewachet, Sinnreich scherzt und singt und lachet, Ist kein karger Knig gleich. 15

Gieb den Kennern, die dich ehren, Neuen Mut, Neuen Scherz den regen Zungen, Neue Fertigkeit den Jungen, Und den Alten neues Blut. 20

Du erheiterst, holde Freude! Die Vernunft. Flieh auf ewig die Gesichter Aller finstern Splitterrichter Und die ganze Heuchlerzunft. 25

4

Das Hhnchen und der Diamant.

Ein verhungert Hhnchen fand Einen feinen Diamant Und verscharrt ihn in den Sand.

"Mchte doch, mich zu erfreun," Sprach es, "dieser schne Stein Nur ein Weizenkrnchen sein!"

Unglckselger berfluss, Wo der ntigste Genuss Unsern Schtzen fehlen muss!

5

Johann, der Seifensieder.

Johann, der muntre Seifensieder, Erlernte viele schne Lieder, Und sang, mit unbesorgtem Sinn, Vom Morgen bis zum Abend hin. Sein Tagwerk konnt' ihm Nahrung bringen; 5 Und wann er ass, so musst' er singen, Und wann er sang, so war's mit Lust; Aus vollem Hals und freier Brust. Beim Morgenbrot, beim Abendessen, Blieb Ton und Triller unvergessen; 10 Der schallte recht, und seine Kraft Durchdrang die halbe Nachbarschaft. Man horcht, man fragt: Wer singt schon wieder? Wer ist's? Der muntre Seifensieder. Im Lesen war er anfangs schwach; 15 Er las nichts als den Almanach, Doch lernt' er auch nach Jahren beten, Die Ordnung nicht zu bertreten, Und schlief, dem Nachbar gleich zu sein, Oft singend, ftrer lesend, ein. 20 Er schien fast glcklicher zu preisen Als die berufnen sieben Weisen, Als manches Haupt gelehrter Welt, Das sich schon fr den achten hlt.

Es wohnte diesem in der Nhe 25 Ein Sprssling eigenntz' ger Ehe, Der, stolz und steif und brgerlich, Im Schmausen keinem Frsten wich: Ein Garkoch richtender Verwandten, Der Schwger, Vettern, Nichten, Tanten, 30 Der stets zu halben Nchten frass, Und seiner Wechsel oft vergass.

Kaum hatte mit den Morgenstunden Sein erster Schlaf sich eingefunden, So liess ihm den Genuss der Ruh 35 Der nahe Snger nimmer zu. "Zum Henker! lrmst du dort schon wieder, Vermaledeiter Seifensieder? Ach wre doch, zu meinem Heil, Der Schlaf hier, wie die Austern feil!" 40

Den Snger, den er frh vernommen, Lsst er an einem Morgen kommen Und spricht: "Mein lustiger Johann! Wie geht es Euch? Wie fangt Ihrs an? Es rhmt ein jeder Eure Ware: 45 Sagt, wie viel bringt sie Euch im Jahre?"

"Im Jahre, Herr? Mir fllt nicht bei, Wie gross im Jahr mein Vorteil sei. So rechn' ich nicht; ein Tag bescheret, Was der, so auf ihn kmmt, verzehret, 50 Dies folgt im Jahr (ich weiss die Zahl) Dreihundertfnfundsechzigmal."

"Ganz recht; doch knnt Ihr mir's nicht sagen, Was pflegt ein Tag wohl einzutragen?"

"Mein Herr, Ihr forschet allzusehr: 55 Der eine wenig, mancher mehr, So wie's dann fllt! Mich zwingt zur Klage Nichts als die vielen Feiertage; Und wer sie alle rot gefrbt, Der hatte wohl, wie Ihr, geerbt, 60 Dem war die Arbeit sehr zuwider; Das war gewiss kein Seifensieder."

Dies schien den Reichen zu erfreun. "Hans," spricht er, "du sollst glcklich sein. Jetzt bist du nur ein schlechter Prahler. 65 Da hast du bare funfzig Thaler; Nur unterlasse den Gesang! Das Geld hat einen bessern Klang."

Er dankt und schleicht mit scheuchem Blicke, Mit mehr als diebscher Furcht zurcke. 70 Er herzt den Beutel, den er hlt, Und zhlt und wgt und schwenkt das Geld, Das Geld, den Ursprung seiner Freude, Und seiner Augen neue Weide.

Es wird mit stummer Lust beschaut 75 Und einem Kasten anvertraut, Den Band' und starke Schlsser hten, Beim Einbruch Dieben Trotz zu bieten, Den auch der karge Thor bei Nacht Aus banger Vorsicht selbst bewacht. 80 Sobald sich nur der Haushund reget, Sobald der Kater sich beweget, Durchsucht er alles, bis er glaubt, Dass ihn kein frecher Dieb beraubt, Bis, oft gestossen, oft geschmissen, 85 Sich endlich beide packen mssen: Sein Mops, der keine Kunst vergass Und wedelnd bei dem Kessel sass; Sein Hinz, der Liebling junger Katzen, So glatt von Fell, so weich von Tatzen, 90 Er lernt zuletzt, je mehr er spart, Wie oft sich Sorg' und Reichtum paart, Und manches Zrtlings dunkle Freuden Ihn ewig von der Freiheit scheiden, Die nur in reine Seelen strahlt, 95 Und deren Glck kein Gold bezahlt.

Dem Nachbar, den er stets gewecket, Bis der das Geld ihm zugestecket, Dem stellt er bald, aus Lust zur Ruh, Den vollen Beutel wieder zu 100 Und spricht: "Herr, lehrt mich bessre Sachen Als, statt des Singens, Geld bewachen. Nehmt immer Euren Beutel hin. Und lasst mir meinen frohen Sinn. Fahrt fort, mich heimlich zu beneiden; 105 Ich tausche nicht mit Euren Freuden. Der Himmel hat mich recht geliebt, Der mir die Stimme wiedergiebt. Was ich gewesen, werd' ich wieder: Johann, der muntre Seifensieder." 110



LXVIII. CHRISTIAN FRCHTEGOTT GELLERT

An eminent fabulist and moralist of Saxon stock (1715-1769). Like Gottsched, he spent the best years of his life in the service of the University of Leipzig. His Fables and Tales (1746-1748) were reprinted in numberless editions, made their publisher rich, and remained for several decades the popular ideal of pleasant and edifying literature. Gellert was also a pioneer (the Swedisch Countess, 1747) in the field of moral family fiction after the manner of Richardson. The Selections follow Krschner's Nationalliteratur, Vol. 43.

1

Die Nachtigall und die Lerche.

Die Nachtigall sang einst mit vieler Kunst, Ihr Lied erwarb der ganzen Gegend Gunst; Die Bltter in den Gipfeln schwiegen Und fhlten ein geheim Vergngen. Der Vgel Chor vergass der Ruh 5 Und hrte Philomelen zu. Aurora selbst verzog am Horizonte, Weil sie die Sngerin nicht g'nug bewundern konnte; Denn auch die Gtter rhrt der Schall Der angenehmen Nachtigall, 10 Und ihr, der Gttin, ihr zu Ehren, Liess Philomele sich noch zweimal schner hren. Sie schweigt darauf. Die Lerche naht sich ihr Und spricht: "Du singst viel reizender als wir, Dir wird mit Recht der Vorzug zugesprochen; 15 Doch eins gefllt uns nicht an dir, Du singst das ganze Jahr nicht mehr als wenig Wochen." Doch Philomele lacht und spricht: "Dein bittrer Vorwurf krnkt mich nicht Und wird mir ewig Ehre bringen. 20 Ich singe kurze Zeit. Warum? Um schn zu singen. Ich folg' im Singen der Natur; So lange sie gebeut, so lange sing' ich nur. Sobald sie nicht gebeut, so hr' ich auf zu singen; Denn die Natur lsst sich nicht zwingen." 25

O Dichter, denkt an Philomelen, Singt nicht, so lang ihr singen wollt. Natur und Geist, die euch beseelen, Sind euch nur wenig Jahre hold. Soll euer Witz die Welt entzcken, 30 So singt, so lang ihr feurig seid, Und ffnet euch mit Meisterstcken Den Eingang in die Ewigkeit. Singt geistreich der Natur zu Ehren; Und scheint euch die nicht mehr geneigt, 35 So eilt, um rhmlich aufzuhren, Eh' ihr zu spt mit Schande schweigt. Wer, sprecht ihr, will den Dichter zwingen? Er bindet sich an keine Zeit. So fahrt denn fort, noch alt zu singen, 40 Und singt euch um die Ewigkeit.

2

Das Land der Hinkenden.

Vor Zeiten gab's ein kleines Land, Worin man keinen Menschen fand, Der nicht gestottert, wenn er red'te, Nicht, wenn er ging, gehinket htte; Denn beides hielt man fr galant. 5 Ein fremder sah den belstand; Hier, dacht' er, wird man dich im Gehn bewundern mssen, Und ging einher mit steifen Fssen. Er ging, ein jeder sah ihn an, Und alle lachten, die ihn sahn, 10 Und jeder blieb vor Lachen stehen Und schrie: "Lehrt doch den Fremden gehen!" Der Fremde hielt's fr seine Pflicht, Den Vorwurf von sich abzulehnen. "Ihr," rief er, "hinkt; ich aber nicht: 15 Den Gang msst ihr euch abgewhnen!" Der Lrmen wird noch mehr vermehrt, Da man den Fremden sprechen hrt. Er stammelt nicht; genug zur Schande! Man spottet sein im ganzen Lande. 20

Gewohnheit macht den Fehler schn, Den wir von Jugend auf gesehn. Vergebens wird's ein Kluger wagen Und, dass wir tricht sind, uns sagen. Wir selber halten ihn dafr, 25 Bloss, weil er klger ist als wir.

3

Das Gespenst.

Ein Hauswirt, wie man mir erzhlt, Ward lange Zeit durch ein Gespenst geqult. Er liess, des Geists sich zu erwehren, Sich heimlich das Verbannen lehren; Doch kraftlos blieb der Zauberspruch. 5 Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren Und gab, in einem weissen Tuch, Ihm alle Nchte den Besuch. Ein Dichter zog in dieses Haus. Der Wirt, der bei der Nacht nicht gern allein gewesen, 10 Bat sich des Dichters Zuspruch aus Und liess sich seine Verse lesen. Der Dichter las ein frostig Trauerspiel, Das, wo nicht seinem Wirt, doch ihm sehr wohl gefiel. Der Geist, den nur der Wirt, doch nicht der Dichter sah, 15 Erschien und hrte zu; es fing ihn an zu schauern. Er konnt es lnger nicht als einen Auftritt dauern, Denn, eh' der andre kam, so war er nicht mehr da. Der Wirt, von Hoffnung eingenommen, Liess gleich die andre Nacht den Dichter wiederkommen. 20 Der Dichter las, der Geist erschien, Doch ohne lange zu verziehn. "Gut," sprach der Wirt bei sich, "dich will ich bald verjagen, Kannst du die Verse nicht vertragen." Die dritte Nacht blieb unser Wirt allein. 25 Sobald es zwlfe schlug, liess das Gespenst sich blicken; "Johann!" fing drauf der Wirt gewaltig an zu schrein, "Der Dichter (lauft geschwind!) soll von der Gte sein Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken." Der Geist erschrak und winkte mit der Hand, 30 Der Diener sollte ja nicht gehen; Und kurz, der weisse Geist verschwand Und liess sich niemals wieder sehen.

Ein jeder, der dies Wunder liest, Zieh' sich daraus die gute Lehre, 35 Dass kein Gedicht so elend ist, Das nicht zu etwas ntzlich wre. Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut, So kann uns dies zum grossen Trste dienen, Gesetzt, dass sie zu unsrer Zeit 40 Auch legionenweis erschienen: So wird, um sich von allen zu befrein, An Versen doch kein Mangel sein.

4

Der unsterbliche Autor.

Ein Autor schrieb sehr viele Bnde Und ward das Wunder, seiner Zeit; Der Journalisten gtge Hnde Verehrten ihm die Ewigkeit Er sah, vor seinem sanften Ende, 5 Fast alle Werke seiner Hnde Das sechste Mal schon aufgelegt Und sich mit tiefgelehrtem Blicke

In einer spanischen Percke Vor jedes Titelblatt geprgt. 10 Er blieb vor Widersprechern sicher Und schrieb bis an den Tag, da ihn der Tod entseelt; Und das Verzeichnis seiner Bcher, Die kleinen Schriften mitgezhlt, Nahm an dem Lebenslauf allein 15 Drei Bogen und drei Seiten ein.

Man las nach dieses Mannes Tode Die Schriften mit Bedachtsamkeit; Und seht, das Wunder seiner Zeit Kam in zehn Jahren aus der Mode, 20 Und seine gttliche Methode Hiess eine bange Trockenheit. Der Mann war bloss berhmt gewesen, Weil Stmper ihn gelobt, eh' Kenner ihn gelesen.

Berhmt zu werden ist nicht schwer, 25 Man darf nur viel fr kleine Geister schreiben; Doch bei der Nachwelt gross zu bleiben, Dazu gehrt noch etwas mehr Als, seicht an Geist, in strenger Lehrart schreiben.



LXIX. JOHANN WILHELM LUDWIG GLEIM

A North German poet (1719-1803) who is best known for his Songs of a Prussian Grenadier, commemorating the victories of Frederick the Great in the Seven Years' War. His earlier work is mostly in the light anacreontic vein, which was somewhat overworked in the decade preceding the war. The fashion was really set by Gleim, though the spirit of it is found in Hagedorn. The selections follow Krschner's Nationalliteratur, Vol. 45.

1

An Leukon.

Rosen pflcke, Rosen blhn, Morgen ist nicht heut! Keine Stunde lass entfliehn, Flchtig ist die Zeit!

Trinke, ksse! Sieh, es ist Heut Gelegenheit! Weisst du, wo du morgen bist? Flchtig ist die Zeit.

Aufschub einer guten Tat Hat schon oft gereut! Hurtig leben ist mein Rat, Flchtig ist die Zeit!

2

Trinklied.

Brder, trinkt: es trinkt die Sonne, Und sie hat schon tausend Strme Ohne Bruder ausgetrunken! Brder trinkt: es trinkt die Erde; Seht, sie durstet, seht, wie durstig Trinkt sie diese Regentropfen! Seht, dort um den Vater Bacchus Stehn die Reben frisch am Berge; Denn es hat das Nass der Wolken Ihren heissen Durst gelschet. Brder, seht, das Nass der Reben Wartet in den vollen Glsern: Wollt ihr euren Durst nicht lschen?

3

Vorzge in der Klugheit.

Herr Euler misst der Welten Grsse; O welch ein Tor ist das! Ich bin doch klger, denn ich messe Die Eimer Wein auf meinem Fass.

Wolff zhlt die Krfte seiner Seele; 5 O welch ein Tor ist das! Ich bin doch klger, denn ich zhle Die Tropfen Wein im Deckelglas.

Herr Meier macht nur immer Schlsse; Wie tricht ist auch das! 10 Ich klgerer, ich trink' und ksse, Ich kss' und trink' ohn' Unterlass.

Herr Haller sucht Gras, Kraut und Bume Auf mancher rauhen Bahn; Ich klgerer, ich suche Reime, 15 So wie er sonsten auch gethan.

Herr Bodmer fhrt gelehrte Kriege; O warum fhrt er sie? Denn durch noch tausend seiner Siege Bezwingt er doch die Dummheit nie. 20

Es mgen ihn die Enkel preisen Und sagen: So ein Mann Ist doch jetzund nicht aufzuweisen; Was gehen mir die Enkel an?

4

Bei Erffnung des Feldzuges 1756.

Krieg ist mein Lied! Weil alle Welt Krieg will, so sei es Krieg! Berlin sei Sparta! Preussens Held Gekrnt mit Ruhm und Sieg!

Gern will ich seine Taten tun, 5 Die Leier in der Hand, Wenn meine blut'gen Waffen ruhn Und hangen an der Wand.

Auch stimm'ich hohen Schlachtgesang Mit seinen Helden an 10 Bei Pauken- und Trompetenklang, Im Lrm von Ross und Mann;

Und streit', ein tapfrer Grenadier, Von Friedrichs Mut erfllt. Was acht' ich es, wenn ber mir 15 Kanonendonner brllt?

Ein Held fall' ich; noch sterbend droht Mein Sbel in der Hand. Unsterblich macht der Helden Tod, Der Tod frs Vaterland! 20

Auch kmmt man aus der Welt davon Geschwinder wie der Blitz; Und wer ihn stirbt, bekommt zum Lohn Im Himmel hohen Sitz!

Wenn aber ich als solch ein Held 25 Dir, Mars, nicht sterben soll, Nicht glnzen soll im Sternenzelt: So leb' ich dem Apoll.

So werd' aus Friedrichs Grenadier, Dem Schutz, der Ruhm des Staats; 30 So lern' er deutscher Sprache Zier Und werde sein Horaz!

Dann singe Gott und Friederich, Nichts Kleiners, stolzes Lied! Dem Adler gleich erhebe dich, 35 Der in die Sonne sieht!

5

Siegeslied nach der Schlacht bei Prag, den 6. Mai, 1757.

Viktoria! mit uns ist Gott, Der stolze Feind liegt da! Er liegt, gerecht ist unser Gott, Er liegt, Viktoria!

Zwar unser Vater ist nicht mehr, 5 Jedoch er starb ein Held Und sieht nun unser Siegesheer Vom hohen Sternenzelt.

Er ging voran, der edle Greis, Voll Gott und Vaterland. 10 Sein alter Kopf war kaum so weiss Als tapfer seine Hand.

Mit jugendlicher Heldenkraft Ergriff er eine Fahn', Hielt sie empor an ihrem Schaft 15 Dass wir sie alle sahn;

Und sagte: "Kinder, Berg hinan, Auf Schanzen und Geschtz!" Wir folgten alle, Mann vor Mann, Geschwinder wie der Blitz. 20

Ach! aber unser Vater fiel, Die Fahne sank auf ihn, Ha! welch glorreiches Lebensziel, Glckseliger Schwerin!

Dein Friederich hat dich beweint, 25 Indem er uns gebot; Wir aber strzten in den Feind, Zu rchen deinen Tod.

Du, Heinrich, warest ein Soldat, Du fochtest kniglich! 30 Wir sahen alle, Tat vor Tat, Du junger Lw', auf dich!

Der Pommer und der Mrker stritt Mit rechtem Christenmut. Rot ward sein Schwert, auf jeden Schritt 35 Floss dick Pandurenblut.

Aus sieben Schanzen jagten wir Die Mtzen von dem Br. Da, Friedrich, ging dein Grenadier Auf Leichen hoch einher; 40

Dacht', in dem mrderischen Kampf Gott, Vaterland und dich, Sah, tief in schwarzem Rauch und Dampf, Dich seinen Friederich;

Und zitterte, ward feuerrot 45 Im kriegrischen Gesicht (Er zitterte vor deinem Tod Vor seinem aber nicht);

Verachtete die Kugelsaat, Der Stcke Donnerton, 50 Stritt wtender, tat Heldentat, Bis deine Feinde flohn.

Nun dankt er Gott fr seine Macht, Und singt: Viktoria! Und alles Blut aus dieser Schlacht 55 Fliesst nach Theresia.

Und weigert sie auf diesen Tag, Den Frieden vorzuziehn, So strme, Friedrich, erst ihr Prag, Und dann fhr uns nach Wien! 60



LXX. FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK

1724-1803. By his profound seriousness and the fervor of his utterance, Klopstock turned German poetry into new channels. Impatient of rime, which he regarded as an ignoble modern jingle, and averse to the shallow Verstandespoesie of the reigning Saxon school, he conceived of poetry as the intense expression of sublimated feeling. His most famous work is the Messiah, a long religious epic in hexameters. In his Odes, composed in the rimeless meters of the Greek and Roman lyrists, he made large use of mythologic names and conceptions which he erroneously supposed to be old German. We hear of ancient bards inhabiting the German forests, singing 'lawless songs' of intense emotion, and deriving their inspiration from ethnic tradition and from the elemental feelings of love and friendship. In his so-called Bardiete he used the dramatic form for this same idealization of the ancient Germans. Although now little read, Klopstock exerted a great influence in dignifying the poet's calling and strengthening the national self-respect and self-reliance of literary Germany.

1

From the 'Messiah': First Song, lines 1-137.

Sing, unsterbliche Seele, der sndigen Menschen Erlsung, Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet, Und durch die er Adams Geschlecht zu der Liebe der Gottheit, Leidend, gettet, und verherrlichet, wieder erhht hat. Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhub sich 5 Satan gegen den gttlichen Sohn; umsonst stand Juda Gegen ihn auf; er tat's und vollbrachte die grosse Vershnung. Aber, o Tat, die allein der Allbarmherzige kennet, Darf aus dunkler Ferne sich auch dir nahn die Dichtkunst? Weihe sie, Geist Schpfer, vor dem ich hier still anbete, 10 Fhre sie mir, als deine Nachahmerin, voller Entzckung, Voll unsterblicher Kraft, in verklrter Schnheit entgegen. Rste mit deinem Feuer sie, du, der die Tiefen der Gottheit Schaut, und den Menschen aus Staube gemacht zum Tempel sich heiligt! Rein sei das Herz! So darf ich, obwohl mit der bebenden Stimme 15 Eines Sterblichen, doch den Gottvershner besingen, Und die furchtbare Bahn, mit verziehnem Straucheln, durchlaufen.

Menschen, wenn ihr die Hoheit kennt, die ihr damals empfinget, Da der Schpfer der Welt Vershner wurde, so hret Meinen Gesang, und ihr vor allen, ihr wenigen Edlen, 20 Teure, herzliche Freunde des liebenswrdigen Mittlers, Ihr mit dem kommenden Weltgerichte vertrauliche Seelen, Hrt mich, und singt den ewigen Sohn durch ein gttliches Leben. Nah an der heiligen Stadt, die sich jetzt durch Blindheit entweihte,[1] Und die Krone der hohen Erwhlung unwissend hinwegwarf, 25 Sonst die Stadt der Herrlichkeit Gottes, der heiligen Vter Pflegerin, jetzt ein Altar des Bluts vergossen von Mrdern; Hier war's, wo der Messias von einem Volke sich losriss, Das zwar jetzt ihn verehrte, doch nicht mit jener Empfindung, Die untadelhaft bleibt vor dem schauenden Auge der Gottheit. 30 Jesus verbarg sich diesen Entweihten. Zwar lagen hier Palmen Vom begleitenden Volk; zwar klang dort ihr lautes Hosanna; Aber umsonst. Sie kannten ihn nicht, den Knig sie nennten, Und den Gesegneten Gottes zu sehn, war ihr Auge zu dunkel. Gott kam selbst von dem Himmel herab. Die gewaltige Stimme: 35 Sieh, ich hab' ihn verklrt, und will ihn von neuem verklren! War die Verkndigerin der gegenwrtigen Gottheit. Aber sie waren, Gott zu verstehn, zu niedrige Snder. Unterdes nahte sich Jesus dem Vater, der wegen des Volkes, Dem die Stimme geschah, mit Zorn zu dem Himmel hinaufstieg. 40 Denn noch einmal wollte der Sohn des Bundes Entschliessung, Seine Menschen zu retten, dem Vater feierlich kund tun. Gegen die stliche Seite Jerusalems liegt ein Gebirge, Welches auf seinem Gipfel schon oft den gttlichen Mittler, Wie in das Heilige Gottes, verbarg, wenn er einsame Nchte 45 Unter des Vaters Anschaun ernst in Gebeten durchwachte. Jesus ging nach diesem Gebirg. Der fromme Johannes, Er nur folgt' ihm dahin bis an die Grber der Seher, Wie sein gttlicher Freund, die Nacht in Gebete zu bleiben. Und der Mittler erhub sich von dort zu dem Gipfel des Berges. 50 Da umgab von dem hohen Moria ihn Schimmer der Opfer, Die den ewigen Vater noch jetzt in Bilde vershnten. Ringsum nahmen ihn Palmen in's Khle. Gelindere Lfte, Gleich dem Suseln[2] der Gegenwart Gottes, umflossen sein Antlitz Und der Seraph, der Jesus zum Dienst auf der Erde gesandt war, 55 Gabriel, nennen die Himmlischen ihn, stand feirend am Eingang Zwoer umdufteter Cedern, und dachte dem Heile der Menschen, Und dem Triumphe der Ewigkeit nach, als jetzt der Erlser Seinem Vater entgegen vor ihm in Stillem vorbeiging. Gabriel wusste, dass nun die Zeit der Erlsung herankam. 60 Diese Betrachtung entzckt' ihn, er sprach mit leiserer Stimme: Willst du die Nacht, o Gttlicher, hier in Gebete durchwachen? Oder verlangt dein ermdeter Leib nach seiner Erquickung? Soll ich zu deinem unsterblichen Haupt ein Lager bereiten? Siehe, schon streckt der Sprssling der Ceder den grnenden Arm aus, 65 Und die weiche Staude des Balsams. Am Grabe der Seher Wchst dort unten ruhiges Moos in der khlenden Erde. Soll ich davon, o Gttlicher, dir ein Lager bereiten? Ach, wie bist du, Erlser, ermdet! Wie viel ertrgst du Hier auf der Erd', aus inniger Liebe zu Adams Geschlechte! 70 Gabriel sagt's. Der Mittler belohnt ihn mit segnenden Blicken, Steht voll Ernst auf der Hhe des Bergs am nheren Himmel. Dort war Gott. Dort betet' er. Unter ihm tnte die Erde, Und ein wandelndes[3] Jauchzen durchdrang die Pforten des Abgrunds,[4] Als sie von ihm tief unten die mchtige Stimme vernahmen. 75 Denn sie war es nicht mehr des Fluches Stimme, die Stimme Angekndet in Sturm, und in donnerndem Wetter gesprochen, Welche die Erde vernahm. Sie hrte des Segnenden Rede, Der mit unsterblicher Schne sie einst zu verneuen beschlossen. Ringsum lagen die Hgel in lieblicher Abenddmmerung, 80 Gleich als blhten sie wieder, nach Edens Bilde geschaffen. Jesus redete. Er, und der Vater durchschauten den Inhalt Grnzlos: diess nur vermag des Menschen Stimme zu sagen: Gttlicher Vater, die Tage des Heils, und des ewigen Bundes Nahen sich mir, die Tage zu grsseren Werken erkoren, 85 Als die Schpfung, die du mit deinem Sohne vollbrachtest. Sie verklren sich mir so schn und herrlich, als damals, Da wir der Zeiten Reih' durchschauten, die Tage der Zukunft, Durch mein gttliches Schaun, bezeichnet, und glnzender sahen. Dir nur ist es bekannt, mit was vor Einmut wir damals, 90 Du, mein Vater, und ich und der Geist die Erlsung beschlossen. In der Stille der Ewigkeit, einsam und ohne Geschpfe, Waren wir bei einander. Voll unsrer gttlichen Liebe, Sahen wir auf die Menschen, die noch nicht waren, herunter. Edens selige Kinder, ach unsre Geschpfe, wie elend 95 Waren sie, sonst unsterblich, nun Staub und entstellt von der Snde! Vater, ich sah ihr Elend, du meine Trnen. Da sprachst du: Lasset der Gottheit Bild in dem Menschen von neuem uns schaffen! Also beschlossen wir unser Geheimnis, das Blut der Vershnung, Und die Schpfung der Menschen verneut zu dem ewigen Bilde! 100 Hier erkor ich mich selbst, die gttliche Tat zu vollenden. Ewiger Vater, das weisst du, das wissen die Himmel, wie innig Mich seit diesem Entschluss nach meiner Erniedrung verlangte! Erde, wie oft warst du, in deiner niedrigen Ferne, Mein erwhltes, geliebteres Augenmerk! Und o Kanan, 105 Heiliges Land, wie oft hing unverwendet mein Auge An dem Hgel, den ich von des Bundes Blute schon voll sah! Und wie bebt mir mein Herz von sssen, wallenden Freuden, Dass ich so lange schon Mensch bin, dass schon so viele Gerechte Sich mir sammeln, und nun bald alle Geschlechte der Menschen 110 Mir sich heiligen werden! Hier lieg' ich, gttlicher Vater, Noch nach deinem Bilde geschmckt mit den Zgen der Menschheit, Betend vor dir: bald aber, ach bald wird dein ttend Gericht mich Blutig entstellen, und unter den Staub der Toten begraben. Schon, o Richter der Welt, schon hr' ich fern dich, und einsam 115 Kommen und unerbittlich in deinen Himmeln dahergehn. Schon durchdringt mich ein Schauer dem ganzen Geistergeschlechte Unempfindbar, und wenn du sie auch mit dem Zorne der Gottheit Ttetest, unempfindbar! Ich seh' den nchtlichen Garten Schon vor mir liegen, sinke vor dir in niedrigen Staub hin, 120 Lieg', und bet', und winde mich, Vater, in Todesschweisse. Siehe, da bin ich, mein Vater. Ich will des Allmchtigen Zrnen, Deine Gerichte will ich mit tiefem Gehorsam ertragen. Du bist ewig! Kein endlicher Geist hat das Zrnen der Gottheit, Keiner je, den Unendlichen ttend mit ewigem Tode, 125 Ganz gedacht, und keiner empfunden. Gott nur vermochte Gott zu vershnen. Erhebe dich, Richter der Welt! Hier bin ich! Tte mich, nimm mein ewiges Opfer zu deiner Vershnung. Noch bin ich frei, noch kann ich dich bitten; so tut sich der Himmel Mit Myriaden von Seraphim auf, und fhret mich jauchzend, 130 Vater, zurck in Triumph zu deinem erhabenen Trone! Aber ich will leiden, was keine Seraphim fassen, Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen einsieht; Ich will leiden, den furchtbarsten Tod ich Ewiger leiden. Weiter sagt' er, und sprach: Ich hebe gen Himmel mein Haupt auf, 135 Meine Hand in die Wolken, und schwre bei dir und mir selber, Der ich Gott bin, wie du: Ich will die Menschen erlsen.

[Notes: 1: Lines 24 ff. Klopstock here follows John xii, making Jesus 'hide himself' from the palm-strewing people before entering the city gate. 2: Suseln; the 'still small voice' of I Kings xix, 12. 3: Wandelndes = fortwandelndes, 'continuing.' 4: Abgrunds; the 'pit' of hell, where the imprisoned fathers are waiting to be released.]

2

Wingolf[5]: The eighth song.

Komm, goldne Zeit, die selten zu Sterblichen Heruntersteiget, lass dich erflehn, und komm Zu uns, wo dir es schon im Haine Weht, und herab von dem Quell schon tnet!

Gedankenvoller, tief in Entzckungen Verloren, schwebt bei dir die Natur. Sie hat's Getan! hat Seelen, die sich fhlen, Fliegen den Geniusflug, gebildet.

Natur, dich hrt' ich im Unermesslichen Herwandeln, wie, mit Sphrengesangeston, Argo, von Dichtern nur vernommen, Strahlend im Meere der Lfte wandelt.

Aus allen goldnen Zeiten begleiten dich, Natur, die Dichter! Dichter des Altertums! Der spten Nachwelt Dichter! Segnend Sehn sie ihr heilig Geschlecht hervorgehn.

[Notes: 5: The entire ode, dating from 1747 and consisting of eight 'songs' in Alcaic meter, was at first entitled An des Dichters Freunde. Wingolf, as it was finally called, is the Norse Gimle, the abode of the blest after Ragnarok. The seven preceding songs extol the various friends who, united in a new Bardenhain, are to usher in a new Golden Age.]

3

An Fanny.[6]

Wenn einst ich tot bin, wenn mein Gebein zu Staub Ist eingesunken, wenn du, mein Auge, nun Lang ber meines Lebens Schicksal, Brechend im Tode nun ausgeweint hast,

Und stillanbetend da, wo die Zukunft ist, 5 Nicht mehr hinaufblickst, wenn mein ersungner Ruhm, Die Frucht von meiner Jnglingstrne,[7] Und von der Liebe zu dir, Messias,

Nun auch verweht ist, oder von wenigen In jene Welt hinber gerettet ward; 10 Wenn du alsdann auch, meine Fanny, Lange schon tot bist, und deines Auges

Stillheitres Lcheln, und sein beseelter Blick Auch ist verloschen, wenn du, vom Volke nicht Bemerket, deines ganzen Lebens 15 Edlere Taten nunmehr getan hast,

Des Nachruhms werter als ein unsterblich Lied, Ach, wenn du dann auch einen beglckteren[8] Als mich geliebt hast, lass den Stolz mir, Einen beglckteren, doch nicht edleren! 20

Dann wird ein Tag sein, den werd' ich auferstehn! Dann wird ein Tag sein, den wirst du auferstehn! Dann trennt kein Schicksal mehr die Seelen, Die du einander, Natur, bestimmtest.

Dann wgt, die Wagschal' in der gehobnen Hand, 25 Gott Glck und Tugend gegen einander gleich; Was in der Dinge Lauf jetzt missklingt, Tnet in ewigen Harmonien!

Wenn dann du dastehst jugendlich auferweckt, Dann eil' ich zu dir! sume nicht, bis mich erst 30 Ein Seraph bei der Rechten fasse, Und mich, Unsterbliche, zu dir fhre.

Dann soll dein Bruder, innig von mir umarmt, Zu dir auch eilen! dann will ich trnenvoll, Voll froher Trnen jenes Lebens 35 Neben dir stehn, dich mit Namen nennen,

Und dich umarmen! Dann, o Unsterblichkeit, Gehrst du ganz uns! Kommt, die das Lied nicht singt, Kommt unaussprechlich ssse Freuden! So unaussprechlich, als jetzt mein Schmerz ist. 40

Rinn, unterdes, o Leben! Sie kommt gewiss, Die Stunde, die uns nach der Zypresse ruft. Ihr andern, seid der schwermutsvollen Liebe geweiht, und umwlkt und dunkel!

[Notes: 6: The ode dates from 1748. Fanny Schmidt was a young woman whose indifference to Klopstock's devotion threw him back on the hope of a union in heaven. 7: Jnglingstrne; tears of high poetic aspiration. 8: Beglckteren, 'more blest' with this world's goods.]

4

Hermann und Thusnelda.

Ha, dort kmmt er mit Schweiss, mit Rmerblute,[9] Mit dem Staube der Schlacht bedeckt! So schn war Hermann niemals! So hat's ihm Nie von dem Auge geflammt!

Komm, ich bebe vor Lust! reich mir den Adler 5 Und das triefende Schwert! Komm, atm', und ruh' hier Aus in meiner Umarmung, Von der zu schrecklichen Schlacht!

Ruh' hier, dass ich den Schweiss der Stirn abtrockne, Und der Wange das Blut! Wie glht die Wange! 10 Hermann! Hermann! So hat dich Niemals Thusnelda geliebt!

Selbst nicht, da du zuerst im Eichenschatten Mit dem brunlichen Arm mich wilder fasstest! Fliehend blieb ich, und sah dir 15 Schon die Unsterblichkeit an,

Die nun dein ist! Erzhlt's in allen Hainen, Dass Augustus nun bang mit seinen Gttern Nektar trinket! Dass Hermann, Hermann unsterblicher ist! 20

"Warum lockst du mein Haar? Liegt nicht der stumme Tote Vater vor uns? O htt' Augustus Seine Heere gefhrt, er Lge noch blutiger da."

Lass dein sinkendes Haar mich, Hermann, heben, 25 Dass es ber dem Kranz in Locken drohe! Siegmar ist bei den Gttern! Folg' du, und wein' ihm nicht nach!

[Notes: 9: Thusnelda greets her husband on his return from the victory over the Roman legions under Quinctilius Varus in the Teutoburg Wood.]



LXXI. CHRISTOPH MARTIN WIELAND

1733-1813. Wieland's great service is to have set forth the cultural problems and tendencies of the Age of Reason in an attractive literary form. His most important imaginative works are prose tales and narrative poems having a Greek, a medieval, or an Oriental setting, but dealing in reality with living issues of his own day. His Agathon (1766-1794) marks the beginning of the German Bildungsroman. He had much in common with the Gallic genius and was widely read in French translations—the first German to attain that distinction. During the last quarter of the 18th century he was the most popular and influential of German writers.

1

From 'Musarion,' lines 1385-1446; The happy estate of the converted Phanias.[1]

Der schnste Tag folgt dieser schnen Nacht. 1385 Mit jedem folgenden find't jedes sich beglckter, Indem es sich im andern glcklich macht. Durch berstandne Not geschickter Zum weiseren Gebrauch, zum reizendern Genuss Des Glcks, das, sich mit ihm so unverhofft vershnte, 1390 Gleich fern von Drftigkeit und stolzem berfluss; Glckselig, weil er's war, nicht weil die Welt es whnte, Bringt Phanias in neidenswerter Ruh Ein unbeneidet Leben zu, In Freuden, die der unverflschte Stempel 1395 Der Unschuld und Natur zu echten Freuden prgt. Der brgerliche Sturm, der stets Athen bewegt, Trifft seine Htte nicht—den Tempel Der Grazien, seitdem Musarion sie ziert. Bescheidne Gunst, durch ihren Witz geleitet, 1400 Gibt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet, Den stillen Reiz, der ohne Schimmer rhrt. Ein Garten, den mit Zephyrn und mit Floren Pomona sich zum Aufenthalt erkoren; Ein Hain, worin sich Amor gern verliert, 1405 Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet; Ein kleiner Bach, von Ulmen berschattet, An dem der Mittagsschlaf uns ungesucht beschleicht;— Im Garten eine Sommerlaube, Wo, zu der Freundin Kuss, der Saft der Purpurtraube, 1410 Den Thasos schickt, ihm wahrer Nektar deucht; Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht, Gesundes Blut, ein unbewlkt Gehirne, Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne— Wie vieles macht ihn reich!—denkt noch Musarion 1415 Hinzu, und sagt, was kann zum frohen Leben Der Gtter Gunst ihm mehr und Bessers geben? Die Weisheit nur, den ganzen Wert davon Zu fhlen, immer ihn zu fhlen, Und, seines Glckes froh, kein andres zu erzielen; 1420 Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor war Kein Cyniker mit ungekmmtem Haar, Kein runzlichter Cleanth,[2] der, wenn die Flasche blinkt, Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt; Die Liebe war's—wer lehrt so gut wie sie? 1425 Auch lernt' er gern, und schnell, und sonder Mh, Die reizende Philosophie, Die, was Natur und Schicksal uns gewhrt, Vergngt geniesst, und gern den Rest entbehrt; Die Dinge dieser Welt gern von der schnen Seite 1430 Betrachtet; dem Geschick sich unterwrfig macht; Nicht wissen will, was alles das bedeute, Was Zeus aus Huld in rtselhafte Nacht Vor uns verbarg, und auf die guten Leute Der Unterwelt, so sehr sie Toren sind, 1435 Nie bse wird, nur lcherlich sie find't Und sich dazu—sie drum nicht minder liebet; Den irrenden bedaurt, und nur den Gleisner flieht; Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glht, Doch ohne Sold und aus Geschmack sie bet; 1440 Und, glcklich oder nicht, die Welt Fr kein Elysium, fr keine Hlle hlt, Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter Von seinem Tron—im sechsten Stockwerk—sieht, So lustig nie als jugendliche Dichter 1445 Sie malen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glht.

[Notes: 1: Phanias is at first a crabbed misanthrope. The lovely Musarion takes him in hand and teaches him her art of love as a philosophy of the Graces. 2: The Stoic Cleanthes is one of the characters of the poem.]

2

From 'Agathon,' Book 16, Chapter 3: The Philosophy of the sage Archytas.[3]

Je mehr ich diesen grossen, alles umfassenden Gedanken[4] durchzudenken strebe, je vlliger fhle ich mich berzeugt, dass sich die ganze Kraft meines Geistes in ihm erschpft, dass er alle seine wesentlichen Triebe befriedigt, dass ich mit aller mglichen Anstrengung nichts Hheres, Besseres, Vollkommeneres denken kann, und—dass eben dies der strkste Beweis seiner Wahrheit ist. Von dem Augenblick an, da mir dieser gttlichste aller Gedanken, in der ganzen Klarheit, womit er meine Seele durchstrahlt, so gewiss erscheint, als ich mir selbst meiner vernnftigen Natur bewusst bin, fhle ich, dass ich mehr als ein sterbliches Erdenwesen, unendlich mehr als der blosse Tiermensch bin, der ich usserlich scheine; fhle, dass ich durch unauflsliche Bande mit allen Wesen zusammenhange, und dass die Ttigkeit meines Geistes, anstatt in die traumhnliche Dauer eines halb tierischen Lebens eingeschrnkt zu sein, fr eine ewige Reihe immer hherer Auftritte, immer reinerer Enthllungen, immer kraftvollerer, weiter grnzender Anwendungen eben dieser Vernunft bestimmt ist, die mich schon in diesem Erdenleben zum edelsten aller sichtbaren Wesen macht.

Von diesem Augenblick an fhle ich, dass der Geist allein mein wahres Ich sein kann, dass nur seine Geschfte, sein Wohlstand, seine Glckseligkeit, die meinigen sind; dass es Unsinn wre, wenn er einen Krper, der ihm bloss als Organ zur Entwicklung und Anwendung seiner Kraft und zu Vermittlung seiner Gemeinschaft und Verbindung mit den brigen Wesen zugegeben ist, als einen wirklichen Teil seiner selbst betrachten, und das Tier, das ihm dienen soll, als seinesgleichen behandeln wollte; aber mehr als Unsinn, Verbrechen gegen das heiligste aller Naturgesetze, wenn er ihm die Herrschaft ber sich einrumen, oder sich in ein schndes Bndnis gegen sich selbst mit ihm einlassen, eine Art von Centaur aus sich machen, und die Dienste, die ihm das Tier zu leisten gentigt ist, durch seiner selbst unwrdige Gegendienste erwiedern wollte.

Von diesem Augenblick an, da mein Rang in der Schpfung, die Wrde eines Brgers der Stadt Gottes, die mich zum Genossen einer hhern Ordnung der Dinge macht, entschieden ist, gehre ich nicht mir selbst, nicht einer Familie, nicht einer besondern Brgergesellschaft, nicht einer einzelnen Gattung, noch dem Erdschollen, den ich mein Vaterland nenne, ausschliesslich an: ich gehre mit allen meinen Krften dem grossen Ganzen an, worin mir mein Platz, meine Bestimmung, meine Pflicht, von dem einzigen Oberherrn, den ich ber mir erkennen darf, angewiesen ist. Aber eben darum, und nur darum, weil in diesem Erdenleben mein Vaterland der mir unmittelbar angewiesene Posten, meine Hausgenossen, Mitbrger, Mitmenschen, diejenigen sind, auf welche sich meine Ttigkeit sich zunchst beziehen soll, erkenne ich mich verbunden, alles mir Mgliche zu ihrem Besten zu tun und zu leiden, sofern keine hhere Pflicht dadurch verletzt wird. Denn von diesem Augenblick an sind Wahrheit, Gerechtigkeit, Ordnung, Harmonie und Vollkommenheit, ohne eigenntzige Rcksicht auf mich selbst, die hchsten Gegenstnde meiner Liebe; ist das Bestreben, diese reinsten Ausstrahlungen der Gottheit in mir zu sammeln und ausser mir zu verbreiten, mein letzter Zweck, die Regel aller meiner Handlungen, die Norm aller Gesetze, zu deren Befolgung ich mich verbindlich machen darf. Mein Vaterland hat alles von mir zu fordern, was dieser hchsten Pflicht nicht widerspricht: aber sobald sein vermeintes Interesse eine ungerechte Handlung von mir forderte, so hrten fr diesen Moment alle seine Ansprche an mich auf, und wenn Verlust meiner Gter, Verbannung und der Tod selbst auf meiner Weigerung stnde, so wre Armut, Verbannung und Tod der beste Teil, den ich whlen knnte.

Kurz, Agathon, von dem Augenblick an, da jener grosse Gedanke von meinem Innern Besitz genommen hat und die Seele aller meiner Triebe, Entschliessungen und Handlungen geworden ist, verschwindet auf immer jede Vorstellung, jede Begierde, jede Leidenschaft, die mein Ich von dem Ganzen, dem es angehrt, trennen, meinen Vorteil isolieren, meine Pflicht meinem Nutzen oder Vergngen unterordnen will. Nun ist mir keine Tugend zu schwer, kein Opfer, das ich ihr bringe, zu teuer, kein Leiden um ihrentwillen unertrglich. Ich scheine, wie du sagtest, mehr als ein gewhnlicher Mensch; und doch besteht mein ganzes Geheimnis bloss darin, dass ich diesen Gedanken meines gttlichen Ursprungs, meiner bohen Bestimmung, und meines unmittelbaren Zusammenhangs mit der unsichtbaren Welt und dem allgemeinen Geist, immer in mir gegenwrtig, hell und lebendig zu erhalten gesucht habe, und dass er durch die Lnge der Zeit zu einem immerwhrenden leisen Gefhl geworden ist. Fhle ich auch (wie es kaum anders mglich ist) zuweilen das Los der Menschheit, den Druck der irdischen Last, die an den Schwingen unseres Geistes hngt, verdstert sich mein Sinn, ermattet meine Kraft,—so bedarf es nur einiger Augenblicke, worin ich den schlummernden Gedanken der innigen Gegenwart, womit die alles erfllende Urkraft auch mein innerstes Wesen umfasst und durchdringt, wieder in mir erwecke, und es wird mir, als ob ein Lebensgeist mich anwehe, der die Flamme des meinigen wieder anfacht, wieder Licht durch meinen Geist, Wrme durch mein Herz verbreitet, und mich wieder stark zu allem macht, was mir zu tun oder zu leiden auferlegt ist.

Und ein System von Ideen, dessen Glaube diese Wirkung tut, sollte noch eines andern Beweises seiner Wahrheit bedrfen als seine blosse Darstellung? Ein Glaube, der die Vernunft so vllig befriedigt, der mir sogar durch sie selbst aufgedrungen wird, und dem ich nicht entsagen kann ohne meiner Vernunft zu entsagen; ein Glaube, der mich auf dem geradesten Wege zur grssten sittlichen Gte und zum reinsten Genuss meines Daseins fhrt, die in diesem Erdenleben mglich sind; ein Glaube, der, sobald er allgemein wrde, die Quellen aller sittlichen bel verstopfen, und den schnen Dichtertraum vom goldnen Alter in seiner hchsten Vollkommenheit realisieren wrde;—ein solcher Glaube beweiset sich selbst, Agathon! und wir knnen alle seine Gegner getrost auffordern, einen vernunftmssigern und der menschlichen Natur zutrglichern aufzustellen. Wirf einen Blick auf das, was die Menschheit ohne ihn ist,—was sie wre, wenn sich nicht in den Gesetzgebungen, Religionen, Mysterien und Schulen der Weisen immer einige Strahlen und Funken von ihm unter den Vlkern erhalten htten,—und was sie werden knnte, werden msste, wenn er jemals herrschend wrde,—was sie schon allein durch blosse stufenweise Annherung gegen dieses vielleicht nie erreichbare Ziel werden wird: und alle Zweifel, alle Einwendungen, die der Unglaube der Sinnlichkeit und die Sophisterei der Dialektik gegen ihn aufbringen knnen, werden dich so wenig in deiner berzeugung stren, als ein Sonnenstubchen eine vom bergewicht eines Centners niedergedrckte Wagschale steigen machen kann.

Ich kenne nur einen einzigen Einwurf gegen ihn, der beim ersten Anblick einige Scheinbarkeit hat; den nmlich, dass er zu erhaben fr den grossen Haufen, zu rein und vollkommen fr den Zustand sei, zu welchem das Schicksal die Menschen auf dieser Erde verurteilt habe. Aber, wenn es nur zu wahr ist, dass der grsste Teil unsrer Brder sich in einem Zustande von Rohheit, Unwissenheit, Mangel an Ausbildung, Unterdrckung und Sklaverei befindet, der sie zu einer Art von Tierheit zu verdammen scheint, worin dringende Sorgen fr die blosse Erhaltung des animalischen Lebens den Geist niederdrcken und ihn nicht zum Bewusstsein seiner eignen Wrde und Rechte kommen lassen: wer darf es wagen, die Schuld dieser Herabwrdigung der Menschheit auf das Schicksal zu legen? Liegt sie nicht offenbar an denen, die aus hchst strflichen Bewegursachen alle nur ersinnlichen Mittel anwenden, sie so lange als mglich in diesem Zustande von Tierheit zu erhalten? —Doch, diese Betrachtung wrde uns jetzt zu weit fhren! —Genug, wir, mein lieber Agathon, wir kennen unsre Pflicht: nie werden wir, wenn Macht in unsre Hnde gegeben wird, unsre Macht anders als zum mglichsten Besten unsrer Brder gebrauchen; und wenn wir auch sonst nichts vermgen, so werden wir ihnen, so viel an uns ist, zu jenem 'Kenne dich selbst' behilflich zu sein suchen, welches sie unmittelbar zu dem einzigen Mittel fhrt, wodurch den beln der Menschheit grndlich geholfen werden kann. Freilich ist dies nur stufenweise, nur durch allmhliche Verbreitung des Lichtes, worin wir unsre wahre Natur und Bestimmung erkennen, mglich: aber auch bei der langsamsten Zunahme desselben, wofern es nur zunimmt, wird es endlich heller Tag werden; denn so lange die Unmglichkeit einer stufenweise wachsenden Vervollkommnung aller geistigen Wesen unerweislich bleiben wird, knnen wir jenen trostlosen Zirkel, worin sich das Menschengeschlecht, nach der Meinung einiger Halbweisen, ewig herumdrehen soll, zuversichtlich fr eine Chimre halten. Bei einer solchen Meinung mag wohl die Trgheit einzelner sinnlicher Menschen ihre Rechnung finden: aber sie ist weder dem Menschen im ganzen zutrglich, noch mit dem Begriffe, den die Vernunft sich von der Natur des Geistes macht, noch mit dem Plane des Weltalls vereinbar, den wir uns, als das Werk der hchsten Weisheit und Gte, schlechterdings in der hchsten Vollkommenheit, die wir mit unsrer Denkkraft erreichen knnen, vorzustellen schuldig sind; und dies um so mehr, da wir nicht zweifeln drfen, dass die undurchbrechbaren Schranken unsrer Natur, auch bei der hchsten Anstrengung unsrer Kraft, uns immer unendlich weit unter der wirklichen Vollkommenheit dieses Plans und seiner Ausfhrung zruckbleiben lassen.

Auch der Einwurf, dass der Glaube einer Verknpfung unsers Geistes mit der unsichtbaren Welt und dem allgemeinen System der Dinge gar zu leicht die Ursache einer der gefhrlichsten Krankheiten des menschlichen Gemtes, der religisen und dmonistischen Schwrmerei, werden knne, ist von keiner Erheblichkeit. Denn es hngt ja bloss von uns selbst ab, dem Hange zum Wunderbaren die Vernunft zur Grenze zu setzen, Spielen der Phantasie und Gefhlen des Augenblicks keinen zu hohen Wert beizulegen, und die Bilder, unter welchen die alten Dichter der Morgenlnder ihre Ahnungen vom Unsichtbaren und Zuknftigen sich und andern zu versinnlichen gesucht haben, fr nichts mehr als das, was sie sind, fr Bilder bersinnlicher und also unbildlicher Dinge anzusehen. Verschiedenes in der Orphischen Theologie, und das Meiste, was in den Mysterien geoffenbaret wird, scheint aus dieser Quelle geflossen zu sein. Diese lieblichen Trume der Phantasie sind dem kindischen Alter der Menschheit angemessen, und die Morgenlnder scheinen auch hierin, wie in allem brigen, immer Kinder bleiben zu wollen. Aber uns, deren Geisteskrfte unter einem gemssigtern Himmel und unter dem Einfluss der brgerlichen Freiheit entwickelt, und durch keine Hieroglyphen, heilige Bcher und vorgeschriebene Glaubensformeln gefesselt werden,—uns, denen erlaubt ist, auch die ehrwrdigsten Fabeln des Altertums fr—Fabeln zu halten, liegt es ob, unsre Begriffe immer mehr zu reinigen, und berhaupt von allem, was ausserhalb des Kreises unsrer Sinne liegt, nicht mehr wissen zu wollen, als was die Vernunft selbst davon zu glauben lehrt, und als fr unser moralisches Bedrfnis zureicht.

Die Schwrmerei, die sich im Schatten einer unbeschftigten Einsamkeit mit sinnlich-geistigen Phnomenen und Gefhlen nhrt, lsst sich freilich an einer so frugalen Bekstigung nicht gengen; sie mchte sich ber die Grenzen der Natur wegschwingen, sich durch berspannung ihres innern Sinnes schon in diesem Leben in einen Zustand versetzen knnen, der uns vielleicht in einem andern bevorsteht; sie nimmt Trume fr Erscheinungen, Schattenbilder fr Wesen, Wnsche einer glhenden Phantasie fr Genuss; gewhnt ihr Auge an ein magisches Helldunkel, worin ihm das volle Licht der Vernunft nach und nach unertrglich wird, und berauscht sich in sssen Gefhlen und Ahnungen, die ihr den wahren Zweck des Lebens aus den Augen rcken, die Ttigkeit des Geistes einschlfern, und das unbewachte Herz wehrlos jedem unvermuteten Anfall auf seine Unschuld preisgeben. Gegen diese Krankheit der Seele ist Erfllung unsrer Pflichten im brgerlichen und huslichen Leben das sicherste Verwahrungsmittel; denn innerhalb dieser Schranken ist die Laufbahn eingeschlossen, die uns hienieden angewiesen ist, und es ist blosse Selbsttuschung, wenn jemand sich berufen glaubt, eine Ausnahme von diesem allgemeinen Gesetze zu sein.

[Notes: 3: Agathon is a Greek of the 4th century B.C. Brought up amid the religious influences of Delphi, he becomes an idealist and a dreamer of fine dreams. He goes to Athens, takes part in politics, is banished and sold into slavery. At Smyrna he is bought by the sophist Hippias, who tries to convert him to a sensualistic philosophy. He falls in love with the beautiful hetra Dana, but on learning the story of her other loves, he leaves Smyrna in disgust and goes to Syracuse, where he has divers adventures at the court of the tyrant Dionysius. At last, finding his way to Tarentum, he makes the acquaintance of the sage Archytas, who expounds to him the true philosophy. 4: The 'great thought' is that the human mind is connected with the invisible world and with the general system of things.]



LXXII. GOTTHOLD EPHRAIM LESSING

1729-1781. The earliest writings of Lessing, consisting of songs, anacreontic verses, epigrams, fables, and prose comedies, belong to an era that was passing. His more significant imaginative work begins with Miss Sara Sampson (1755), the first German tragedy of middle-class life. His three most famous plays, Minna von Barnhelm (1766), Emilia Galotti (1772), and Nathan the Wise (1779), are well-known classics, and as such are not included in the scheme of this book. In the field of criticism his most important works are the Letters on Literature (1759-1765), which set a new standard of critical plain-speaking; the Laokoon (1766), which undertook to delimit the provinces of poetry and of plastic art; the Hamburg Dramaturgy (1767-1769), which assailed the prestige of the French classical tragedy, and the Anti-Goeze (1778), a notable defense of what is now called the higher criticism. He exerted an immense influence in liberating Germany from the trammels of outworn convention.

1

Grabschrift auf Voltaire.

Hier liegt—wenn man euch glauben wollte, Ihr frommen Herrn!—der lngst hier liegen sollte. Der liebe Gott verzeih aus Gnade Ihm seine Henriade Und seine Trauerspiele Und seiner Verschen viele; Denn, was er sonst ans Licht gebracht, Das hat er ziemlich gut gemacht.

2

Der Tod.

Gestern, Brder, knnt ihr's glauben? Gestern bei dem Saft der Trauben (Bildet euch mein Schrecken ein!) Kam der Tod zu mir herein.

Drohend schwang er seine Hippe, 5 Drohend sprach das Furchtgerippe: Fort, du teurer Bacchusknecht! Fort, du hast genug gezecht!

Lieber Tod, sprach ich mit Trnen, Solltest du nach mir dich sehnen? 10 Sieh, da stehet Wein fr dich! Lieber Tod, verschone mich!

Lchelnd greift er nach dem Glase, Lchelnd macht er's auf der Base. Auf der Pest, Gesundheit leer; 15 Lchelnd setzt er's wieder her.

Frhlich glaub' ich mich befreiet, Als er schnell sein Drohn erneuet. Narre, fr dein Glschen Wein Denkst du, spricht er, los zu sein? 20

Tod, bat ich, ich mcht' auf Erden Gern ein Mediziner werden. Lass mich! ich verspreche dir Meine Kranken halb dafr.

Gut, wenn das ist, magst du leben, 25 Ruft er. Nur sei mir ergeben! Lebe, bis du satt geksst Und des Trinkens mde bist.

O, wie schn klingt dies den Ohren! Tod, du hast mich neu geboren. 30 Dieses Glas voll Rebensaft, Tod, auf gute Brderschaft!

Ewig muss ich also leben, Ewig! denn, beim Gott der Reben! Ewig soll mich Lieb' und Wein, 35 Ewig Wein und Lieb' erfreun!

3

From 'Miss Sara Sampson': Act II, Scene 7.

MELLEFONT. MARWOOD.[1]

MARWOOD. Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie fest entschlossen sind, mich einer jungen Nrrin aufzuopfern?

MELLEFONT (bitter). Aufzuopfern? Sie machen, dass ich mich hier erinnere, dass den alten Gttern auch sehr unreine Tiere geopfert wurden.

MARWOOD (spttisch). Drcken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen aus.

MELLEFONT. So sage ich Ihnen, dass ich fest entschlossen bin, nie wieder ohne die schrecklichsten Verwnschungen an Sie zu denken. Wer sind Sie? Und wer ist Sara? Sie sind eine wollstige, eigenntzige, schndliche Buhlerin, die sich jetzt kaum mehr muss erinnern knnen, einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts vorzuwerfen, als dass ich dasjenige genossen, was Sie ohne mich vielleicht die ganze Welt htten geniessen lassen. Sie haben mich gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiss, wer Marwood ist, so kmmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein Vermgen, meine Ehre, mein Glck—

MARWOOD. Und so wollte ich, dass sie dir auch deine Seligkeit kosten msste! Ungeheuer! Ist der Teufel rger als du, der schwache Menschen zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht preisgeben knnen, so habe ich doch meinen guten Namen fr dich in die Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage ich? Kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinnst, das weder ruhig noch glcklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen Wert und kann volkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennen lernte; genug, dass ich in den Augen der Welt fr ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich nur hat sie es erfahren, dass ich es nicht sei; durch meine Bereitwilligkeit bloss, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine Hand anzunehmen.

MELLEFONT. Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niedertrchtige.

MARWOOD. Erinnerst du dich aber, welchen nichtswrdigen Kunstgriffen du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredet, dass du dich in keine ffentliche Verbindung einlassen knntest, ohne einer Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuss du mit niemand als mit mir teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer fr eine andre als fr mich zu entsagen?

MELLEFONT. Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu knnen, dass diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begngen Sie sich also nur, mich um mein vterliches Erbteil gebracht zu haben, und lassen mich ein weit geringeres mit einer wrdigern Gattin geniessen.

MARWOOD. Ha! Nun seh' ich's, was dich eigentlich so trotzig macht! Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf, dass ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein— Du wirst mich verstehen! Zittre fr deine Bella! Ihr Leben soll das Andenken meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea!

MELLEFONT (erschrocken). Marwood—

MARWOOD. Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weisst, so sieh sie gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich rchen. Doch nein, Gift und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie wrden dein und mein Kind zu bald tten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte jeden hnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren und verschwinden lassen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied, Ader von Ader, Nerve von Nerve lsen und das kleinste derselben auch da noch nicht aufhren zu schneiden und zu brennen, wenn es schon nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich—ich werde wenigstens dabei empfinden, wie sss die Rache sei!

MELLEFONT. Sie rasen, Marwood—

MARWOOD. Du erinnerst mich, dass ich nicht gegen den rechten rase. Der Vater muss voran! Er muss schon in jener Welt sein, wenn der Geist seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht— (Sie geht mit einem Dolche, den sie aus dem Busen reisst, auf ihn los). Drum stirb, Verrter!

MELLEFONT. (der ihr in den Arm fllt und den Dolch entreisst). Unsinniges Weibsbild! Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu kehren? Doch lebe, und deine Strafe msse einer ehrlosen Hand aufgehoben sein!

MARWOOD (mit gerungenen Hnden). Himmel, was hab' ich getan? Mellefont—

MELLEFONT. Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiss es doch wohl, was dich reuet; nicht dass du den Stoss tun wollen, sondern dass du ihn nicht tun knnen.

MARWOOD. Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! Geben Sie mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, fr wen er geschliffen ward. Fr diese Brust allein, die schon lngst einem Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will.

[Notes: 1: The scene is a low London inn, to which Mellefont, a sentimental profligate, has brought Sara Sampson under promise of marriage. Marwood is Mellefont's former mistress, by whom he has a daughter, Bella.]

4

The Seventeenth of the 'Letters on Literature.' Feb. 16, 1759.

'Niemand,' sagen die Verfasser der Bibliothek,[2] 'wird leugnen, dass die deutsche Schaubhne einen grossen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.'

Ich bin dieser Niemand; ich leugne es geradezu. Es wre zu wnschen, dass sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt htte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten oder sind wahre Verschlimmerungen.

Als die Neuberin[3] blhte und so mancher den Beruf fhlte, sich um sie und die Bhne verdient zu machen, sahe es freilich mit unserer dramatischen Poesie sehr elend aus. Man kannte keine Regeln, man bekmmerte sich um keine Muster. Unsre Staats- und Heldenaktionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pbelwitz. Unsre Lustspiele bestanden in Verkleidungen und Zaubereien, und Prgel waren die witzigsten Einflle derselben. Dieses Verderbnis einzusehen, brauchte man eben nicht der feinste und grsste Geist zu sein. Auch war Herr Gottsched nicht der erste, der sich Krfte genug zutraute, ihm abzuhelfen. Und wie ging er damit zu Werke? Er verstand ein wenig Franzsisch und fing an zu bersetzen; er ermunterte alles, was reimen und 'Oui, monsieur' verstehen konnte, gleichfalls zu bersetzen; er verfertigte, wie ein schweizerischer Kunstrichter[4] sagt, mit Kleister und Schere seinen 'Cato'; er liess den 'Darius' und die 'Austern,' die 'Elisie,' und den 'Bock im Prozesse,' den 'Aurelius' und den 'Witzling,' die 'Banise' und den 'Hypochondristen' ohne Kleister und Schere machen; er legte seinen Fluch auf das Extemporieren; er liess den Harlekin feierlich vom Theater vertreiben, welches selbst die grsste Harlekinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht so wohl unser altes Theater verbessern, als der Schpfer eines ganz neuen sein. Und was fr eines neuen? Eines franzsierenden; ohne zu untersuchen, ob dieses franzsierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sei oder nicht.

Er htte aus unsern alten dramatischen Stcken, welche er vertrieb, hinlnglich abmerken knnen, dass wir mehr in den Geschmack der Englnder als der Franzosen einschlagen; dass wir in unsern Trauerspielen mehr sehen und denken wollen, als uns das furchtsame franzsische Trauerspiel zu sehen und zu denken gibt; dass das Grosse, das Schreckliche, das Melancholische besser auf uns wirkt als das Artige, das Zrtliche, das Verliebte; dass uns die zu grosse Einfalt mehr ermde als die zu grosse Verwickelung u.s.w. Er htte also auf dieser Spur bleiben sollen, und sie wrde ihn geraden Weges auf das englische Theater gefhret haben. —Sagen Sie ja nicht, dass er auch dieses zu nutzen gesucht, wie sein 'Cato' es beweise. Denn eben dieses, dass er den Addisonschen 'Cato' fr das beste englische Trauerspiel hlt,[5] zeiget deutlich, dass er hier nur mit den Augen der Franzosen gesehen und damals keinen Shakespeare, keinen Jonson, keinen Beaumont und Fletcher u.s.w. gekannt hat, die er hernach aus Stolz auch nicht hat wollen kennen lernen.

Wenn man die Meisterstcke des Shakespeare, mit einigen bescheidenen Vernderungen, unsern Deutschen bersetzt htte, ich weiss gewiss, es wrde von bessern Folgen gewesen sein, als dass man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich wrde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens wrde jener ganz andre Kpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rhmen weiss. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzndet werden, und am leichtesten von so einem, das alles bloss der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mhsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschrecket.

Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu entscheiden, ist Shakespeare ein weit grsserer tragischer Dichter als Corneille, obgleich dieser die Alten sehr wohl und jener fast gar nicht gekannt hat. Corneille kmmt ihnen in der mechanischen Einrichtung und Shakespeare in dem Wesentlichen nher. Der Englnder erreicht den Zweck der Tragdie fast immer, so sonderbare und ihm eigne Wege er auch whlet, und der Franzose erreicht ihn fast niemals, ob er gleich die gebahnten Wege der Alten betritt. Nach dem 'Oedipus' des Sophokles muss in der Welt kein Stck mehr Gewalt ber unsere Leidenschaften haben als 'Othello,' als 'Knig Lear,' als 'Hamlet' u.s.w. Hat Corneille ein einziges Trauerspiel, das Sie nur halb so gerhret htte als die 'Zaire' des Voltaire? Und die 'Zaire' des Voltaire, wie weit ist sie unter dem 'Mohren von Venedig,' dessen schwache Copie sie ist, und von welchem der ganze Charakter des Orosmans entlehnet worden?

Dass aber unsre alten Stcke wirklich sehr viel Englisches gehabt haben, knnte ich Ihnen mit geringer Mhe weitlufig beweisen. Nur das bekannteste derselben zu nennen, 'Doctor Faust' hat eine Menge Szenen, die nur ein Shakespeare'sches Genie zu denken vermgend gewesen. Und wie verliebt war Deutschland, und ist es zum Teil noch, in seinen Doctor Faust! Einer von meinen Freunden verwahret einen alten Entwurf dieses Trauerspiels, und er hat mir einen Auftritt daraus mitgeteilet, in welchem gewiss viel Grosses liegt. Sind Sie begierig, ihn zu lesen? Hier ist er! —Faust verlangt den schnellsten Geist der Hlle zu seiner Bedienung. Er macht seine Verschwrungen; es erscheinen sieben derselben; und nun fngt sich die dritte Szene des zweiten Aufzugs an:

FAUST UND SIEBEN GEISTER

FAUST. Ihr? Ihr seid die schnellesten Geister der Hlle?

DIE GEISTER ALLE. Wir.

FAUST. Seid ihr alle sieben gleich schnell?

DIE GEISTER ALLE. Nein.

FAUST. Und welcher von euch ist der Schnelleste?

DIE GEISTER ALLE. Der bin ich!

FAUST. Ein Wunder, dass unter sieben Teufeln nur sechs Lgner sind. —Ich muss euch nher kennen lernen.

DER ERSTE GEIST. Das wirst du! Einst!

FAUST. Einst! Wie meinst du das? Predigen die Teufel auch Busse?

DER ERSTE GEIST. Ja wohl, den Verstockten. —Aber halte uns nicht auf!

FAUST. Wie heissest du? Und wie schnell bist du?

DER ERSTE GEIST. Du knntest eher eine Probe als eine Antwort haben.

FAUST. Nunwohl! Sieh her: was mache ich?

DER ERSTE GEIST. Du fhrst mit deinem Finger schnell durch die Flamme des Lichts—

FAUST. Und verbrenne mich nicht. So geh auch du und fahre siebenmal eben so schnell durch die Flammen der Hlle und verbrenne dich nicht! —Du verstummst? Du bleibst? —So prahlen auch die Teufel? Ja, ja; keine Snde ist so klein, dass ihr sie euch nehmen liesset. —Zweiter, wie heissest du?

DER ZWEITE GEIST. Chil, das ist in eurer langweiligen Sprache: Pfeil der Pest.

FAUST. Und wie schnell bist du?

DER ZWEITE GEIST. Denkest du, dass ich meinen Namen vergebens fhre? —Wie die Pfeile der Pest.

FAUST. Nun, so geh und diene einem Arzte! Fr mich bist du viel zu langsam. —Du dritter, wie heissest du?

DER DRITTE GEIST. Ich heisse Dilla; denn mich tragen die Flgel der Winde.

FAUST. Und du vierter?

DER VIERTE GEIST. Mein Name ist Jutta; denn ich fahre auf den Strahlen des Lichts.

FAUST. O ihr, deren Schnelligkeit in endlichen Zahlen auszudrcken, ihr Elenden—

DER FNFTE GEIST. Wrdige sie deines Unwillens nicht. Sie sind nur Satans Boten in der Krperwelt. Wir sind es in der Welt der Geister; uns wirst du schneller finden.

FAUST. Und wie schnell bist du?

DER FNFTE GEIST. So schnell als die Gedanken des Menschen.

FAUST. Das ist etwas! —Aber nicht immer sind die Gedanken des Menschen schnell. Nicht da, wenn Wahrheit und Tugend sie auffordern. Wie trge sind sie alsdenn! —Du kannst schnell sein, wenn du schnell sein willst; aber wer steht mir dafr, dass du es allezeit willst? Nein, dir werde ich so wenig trauen, als ich mir selbst htte trauen sollen. Ach!— (Zum sechsten Geiste) Sage du, wie schnell bist du?

DER SECHSTE GEIST. So schnell als die Rache des Rchers.

FAUST. Des Rchers? Welches Rchers?

DER SECHSTE GEIST. Des Gewaltigen, des Schrecklichen, der sich allein die Rache vorbehielt, weil ihn die Rache vergngte.

FAUST. Teufel! du lsterst; denn ich sehe, du zitterst. —Schnell, sagst du, wie die Rache des—bald htte ich ihn genennt! Nein, er werde nicht unter uns genennt! —Schnell wre seine Rache? Schnell? —Und ich lebe noch? Und ich sndige noch?

DER SECHSTE GEIST. Dass er dich noch sndigen lsst, ist schon Rache!

FAUST. Und dass ein Teufel mich dieses lehren muss! —Aber doch erst heute! Nein, seine Rache ist nicht schnell, und wenn du nicht schneller bist als seine Rache, so geh nur!— (Zum siebenten Geiste) Wie schnell bist du?

DER SIEBENTE GEIST. Unzuvergngender Sterbliche, wo auch ich dir nicht schnell genug bin—

FAUST. So sage: wie schnell?

DER SIEBENTE GEIST. Nicht mehr und nicht weniger als der bergang vom Guten zum Bsen.

FAUST. Ha! Du bist mein Teufel! So schnell als der bergang vom Guten zum Bsen! —Ja, der ist schnell; schneller ist nichts als der! —Weg von hier, ihr Schnecken des Orcus! Weg! —Als der bergang vom Guten zum Bsen! Ich habe es erfahren, wie schnell er ist! Ich habe es erfahren! u.s.w.

Was sagen Sie zu dieser Szene? Sie wnschen ein deutsches Stck, das lauter solche Szenen htte? Ich auch.

[Notes: 2: The Bibliothek der schnen Wissenschaften, a magazine conducted by Nicolai and Mendelssohn. 3: Caroline Neuber was a famous actress, who between 1727 and 1748 coperated with Gottsched for the improvement of the Leipzig stage. 4: The 'Swiss critic' is Bodmer. 'Darius,' the 'Oysters,' etc., are the titles of plays included in Gottsched's Deutsche Schaubhne (1740-1745) 5: In his Discours sur la tragdie Voltaire speaks of Addison's Cato as "la seule bien crite d'un bout l'autre chez votre [Lord Bolingbroke's] nation."]

5

From 'Laokoon,' Chapter 16.

Doch ich will versuchen, die Sache[6] aus ihren ersten Grnden herzuleiten.

Ich schliesse so: Wenn es wahr ist, dass die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Zeichen gebraucht als die Poesie, jene nmlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Tne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhltnis zu dem Bezeichneten haben mssen: so knnen neben einander geordnete Zeichen auch nur Gegenstnde, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, auf einander folgende Zeichen aber auch nur Gegenstnde ausdrcken, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen.

Gegenstnde, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, heissen Krper. Folglich sind Krper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstnde der Malerei.

Gegenstnde, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen, heissen berhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.

Doch alle Krper existieren nicht allein in dem Raume, sondern auch in der Zeit. Sie dauern fort und knnen in jedem Augenblicke ihrer Dauer anders erscheinen und in anderer Verbindung stehen. Jede dieser augenblicklichen Erscheinungen und Verbindungen ist die Wirkung einer vorhergehenden und kann die Ursache einer folgenden und sonach gleichsam das Zentrum einer Handlung sein. Folglich kann die Malerei auch Handlungen nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Krper.

Auf der ndern Seite knnen Handlungen nicht fr sich selbst bestehen, sondern mssen gewissen Wesen anhngen. Insofern nun diese Wesen Krper sind oder als Krper betrachtet werden, schildert die Poesie auch Krper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen.

Die Malerei kann in ihren coexistierenden Compositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen und muss daher den prgnantesten whlen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am Begreiflichsten wird.

Ebenso kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Krper nutzen und muss daher diejenige whlen, welche das sinnlichste Bild des Krpers von der Seite erwecket, von welcher sie ihn braucht.

Hieraus fliesst die Regel von der Einheit der malerischen Beiwrter und der Sparsamkeit in den Schilderungen krperlicher Gegenstnde.

Ich wrde in diese trockene Schlusskette weniger Vertrauen setzen, wenn ich sie nicht durch die Praxis des Homers vollkommen besttigt fnde, oder wenn es nicht vielmehr die Praxis des Homers selbst wre, die mich darauf gebracht htte. Nur aus diesen Grundstzen lsst sich die grosse Manier des Griechen bestimmen und erklren, so wie der entgegengesetzten Manier so vieler neuern Dichter ihr Recht erteilen, die in einem Stcke mit dem Maler wetteifern wollen, in welchem sie notwendig von ihm berwunden werden mssen.

Ich finde, Homer malet nichts als fortschreitende Handlungen, und alle Krper, alle einzelne Dinge, malet er nur durch ihren Anteil an diesen Handlungen, gemeiniglich nur mit Einem Zuge. Was Wunder also, dass der Maler da, wo Homer malet, wenig oder nichts fr sich zu tun siehet, und dass seine Ernte nur da ist, wo die Geschichte eine Menge schner Krper in schnen Stellungen in einem der Kunst vorteilhaften Raume zusammenbringt, der Dichter selbst mag diese Krper, diese Stellungen, diesen Raum, so wenig malen, als er will.

[Notes: 6: Die Sache is the fundamental difference between plastic art (Malerei) and poetry.]



LXXIII. JOHANN GOTTFRIED HERDER

1744-1803. Herder's was the first strong voice to be raised in protest against the inveterate illusion of his countrymen that excellence in poetry depended on the imitation of good models. He took a deep interest in the poetry of primitive and unlettered men, and deduced from that his criteria of excellence; namely, sincerity, naturalness, strength and fulness of expression. The virtue of the greatest poets, such as Homer, Shakspere and Ossian, lay—so he said—in the fulness and fidelity with which they had felt and expressed the life of their nation and their epoch. Thus he became the founder of historical criticism and the harbinger of the coming romantic movement. It was he, more than any one else, who ushered in the 'storm and stress' era, with its watchwords of nature, power, genius, originality, and its general spirit of protest against all conventional restrictions.

1

From 'Fragments on Recent German Literature'[1]: Poetry as mother tongue of mankind.

Eine Sprache in ihrer Kindheit bricht, wie ein Kind, einsilbichte, rauhe und hohe Tne hervor. Eine Nation in ihrem ersten wilden Ursprunge starret, wie ein Kind, alle Gegenstnde an; Schrecken, Furcht, und alsdenn Bewunderung sind die Empfindungen, derer beide allein fhig sind, und die Sprache dieser Empfindungen sind Tne,—und Gebrden. Zu den Tnen sind ihre Werkzeuge noch ungebraucht: folglich sind jene hoch und mchtig an Accenten; Tne und Gebrden sind Zeichen von Leidenschaften und Empfindungen, folglich sind sie heftig und stark: ihre Sprache spricht fr Auge und Ohr, fr Sinne und Leidenschaften: sie sind grsserer Leidenschaften fhig, weil ihre Lebensart voll Gefahr und Tod und Wildheit ist: sie verstehen also auch die Sprache des Affects mehr als wir, die wir dies Zeitalter nur aus sptern Berichten und Schlssen kennen; denn so wenig wir aus unsrer ersten Kindheit Nachricht durch Erinnerung haben, so wenig sind Nachrichten aus dieser Zeit der Sprache mglich, da man noch nicht sprach, sondern tnete; da man noch wenig dachte, aber desto mehr fhlte; und also nichts weniger als schrieb.

So wie sich das Kind oder die Nation nderte, so mit ihr die Sprache. Entsetzen, Furcht und Verwunderung verschwand allmhlich, da man die Gegenstnde mehr kennen lernte; man ward mit ihnen vertraut und gab ihnen Namen, Namen, die von der Natur abgezogen waren, und ihr so viel mglich im Tnen nachahmten. Bei den Gegenstnden frs Auge musste die Gebrdung noch sehr zu Hilfe kommen, um sich verstndlich zu machen: und ihr ganzes Wrterbuch war noch sinnlich. Ihre Sprachwerkzeuge wurden biegsamer, und die Accente weniger schreiend. Man sang also, wie viele Vlker es noch tun, und wie es die alten Geschichtschreiber durchgehends von ihren Vorfahren behaupten. Man pantomimisierte und nahm Krper und Gebrden zu Hilfe: damals war die Sprache in ihren Verbindungen noch sehr ungeordnet und unregelmssig in ihren Formen.

Das Kind erhob sich zum Jnglinge: die Wildheit senkte sich zur politischen Ruhe; die Lebens- und Denkart legte ihr rauschendes Feuer ab: der Gesang der Sprache floss lieblich von der Zunge herunter, wie dem Nestor des Homers, und suselte in die Ohren. Man nahm Begriffe, die nicht sinnlich waren, in die Sprache; man nannte sie aber, wie von selbst zu vermuten ist, mit bekannten sinnlichen Namen; daher mssen die ersten Sprachen bildervoll und reich an Metaphern gewesen sein.

Und dieses jugendliche Sprachalter war bloss das poetische: man sang im gemeinen Leben, und der Dichter erhhete nur seine Accente in einem fr das Ohr gewhlten Rhythmus: die Sprache war sinnlich und reich an khnen Bildern: sie war noch ein Ausdruck der Leidenschaft, sie war noch in den Verbindungen ungefesselt: der Periode fiel aus einander, wie er wollte! —Seht! das ist die poetische Sprache, der poetische Periode. Die beste Blte der Jugend in der Sprache war die Zeit der Dichter: jetzt sangen die aoidoi und rhapsdoi: da es noch keine Schriftsteller gab, so verewigten sie die merkwrdigen Taten durch Lieder: durch Gesnge lehrten sie, und in den Gesngen waren nach der damaligen Zeit der Welt Schlachten und Siege, Fabeln und Sittensprche, Gesetze und Mythologie enthalten. Dass dies bei den Griechen so gewesen, beweisen die Bchertitel der ltesten verlorenen Schriftsteller, und dass es bei jedem Volk so gewesen, zeugen die ltesten Nachrichten....

So lset sich auch der Zweifel eines sprachgelehrten Mannes hiemit leicht auf: 'Ich weiss nicht, ob es wahr ist, was man in vielen Bchern wiederholet hat, dass bei allen Nationen, die sich durch die schnen Wissenschaften hervorgetan haben, die Poesie eher als die Prose zu einer gewissen Hhe gestiegen sei.' Es ist allerdings wahr, was alle alte Schriftsteller einmtig behaupten, und was in den neuen Bchern wenig angewandt ist, dass die Poesie lange vorher, ehe es Prose gab, zu ihrer grssten Hhe gestiegen sei, dass diese Prose darauf die Dichtkunst verdrungen, und diese nie wieder ihre vorige Hhe erreichen knnen. Die ersten Schriftsteller jeder Nation sind Dichter: die ersten Dichter unnachahmlich: zur Zeit der schnen Prose wuchs in Gedichten nichts als die Kunst: sie hatte sich schon ber die Erde erhoben und suchte ein Hchstes, bis sie ihre Krfte erschpfte und im ther der Spitzfindigkeit blieb. In der sptern Zeit hat man bloss versifizierte Philosophie oder mittelmssige Poesie.

[Notes: 1: First Collection (1767); see Suphan's edition of Herder's works, Vol. I, page 152.]

2

From 'Critical Forests'[2]: Power, not sequence of tones, the essence of poetry.

Ich lugne es also, dass Gegenstnde, die auf einander oder deren Teile auf einander folgen, deswegen berhaupt Handlungen heissen: und ebenso lugne ich, dass, weil die Dichtkunst Successionen liefre, sie deswegen Handlungen zum Gegenstande habe. Der Begriff des Successiven ist zu einer Handlung nur die halbe Idee: es muss ein Successives durch Kraft sein: so wird Handlung. Ich denke mir ein in der Zeitfolge wirkendes Wesen, ich denke mir Vernderungen, die durch die Kraft einer Substanz auf einander folgen: so wird Handlung. Und sind Handlungen der Gegenstand der Dichtkunst, so wette ich, wird dieser Gegenstand nie aus dem trocknen Begriff der Succession bestimmt werden knnen: Kraft ist der Mittelpunkt ihrer Sphre.

Und dies ist die Kraft, die dem Innern der Worte anklebt, die Zauberkraft, die auf meine Seele durch die Phantasie und Erinnerung wirkt: sie ist das Wesen der Poesie. —Der Leser sieht, dass wir sind, wo wir waren, dass nmlich die Poesie durch willkrliche Zeichen wirke; dass in diesem Willkrlichen, in dem Sinne der Worte, ganz und gar die Kraft der Poesie liege; nicht aber in der Folge der Tne und Worte, in den Lauten, so fern sie natrliche Laute sind....

Handlung, Leidenschaft, Empfindung!—auch ich liebe sie in Gedichten ber alles: auch ich hasse nichts so sehr als tote stillstehende Schilderungssucht, insonderheit, wenn sie Seiten, Bltter, Gedichte einnimmt; aber nicht mit dem tdlichen Hasse, um jedes einzelne ausfhrliche Gemlde, wenn es auch coexistent geschildert wrde, zu verbannen; nicht mit dem tdlichen Hasse, um jeden Krper nur mit Einem Beiworte an der Handlung Teil nehmen zu lassen, und denn auch nicht aus dem nmlichen Grunde, weil die Poesie in successiven Tnen schildert, oder weil Homer dies und jenes macht und nicht macht—um deswillen nicht.

Wenn ich Eins von Homer lerne, so ist's, dass die Poesie energisch wirke: nie in der Absicht, um bei dem letzten Zuge ein Werk, Bild, Gemlde (obwohl successive) zu liefern, sondern, dass schon whrend der Energie die ganze Kraft empfunden werden msse. Ich lerne von Homer, dass die Wirkung der Poesie nie aufs Ohr, durch Tne, nicht aufs Gedchtnis, wie lange ich einen Zug aus der Succession behalte, sondern auf meine Phantasie wirke; von hieraus also, sonst nirgendsher, berechnet werden msse. So stelle ich sie gegen die Malerei und beklage, dass Hr. L. diesen Mittelpunkt des Wesens der Poesie, 'Wirkung auf unsre Seele, Energie,' nicht zum Augenmerke genommen.

[Notes: 2: In his Kritische Wlder (1769) Herder subjected Lessing's Laokoon to a searching criticism. The passages here given—see Suphan's edition, Vol. 3, pages 139 ff.—are addressed to the theory advanced in the last of the foregoing selections from Lessing.]

3

From 'Correspondence concerning Ossian and the Songs of Ancient Peoples'[3]: The poetic superiority of 'wild' folk.

Sie wissen aus Reisebeschreibungen, wie stark und fest sich immer die Wilden ausdrcken. Immer die Sache, die sie sagen wollen, sinnlich, klar, lebendig anschauend: den Zweck, zu dem sie reden, unmittelbar und genau fhlend: nicht durch Schattenbegriffe, Halbideen und symbolischen Letternverstand (von dem sie in keinem Worte ihrer Sprache, da sie fast keine Abstracta haben, wissen),—durch alle dies nicht zerstreuet: noch minder durch Knsteleien, sklavische Erwartungen, furchtsamschleichende Politik und verwirrende Prmeditation verdorben—ber alle diese Schwchungen des Geistes seligunwissend, erfassen sie den ganzen Gedanken mit dem ganzen Worte, und dies mit jenem. Sie schweigen entweder, oder reden im Moment des Interesse mit einer unvorbedachten Festigkeit, Sicherheit und Schnheit, die alle wohlstudierte Europer allezeit haben bewundern mssen und—mssen bleiben lassen. Unsre Pedanten, die alles vorher zusammenstoppeln, und auswendig lernen mssen, um alsdenn recht methodisch zu stammeln; unsre Schulmeister, Kster, Halbgelehrte, Apotheker und alle, die den Gelehrten durchs Haus laufen, und nichts erbeuten, als dass sie endlich, wie Shakespear's Launcelots, Polizeidiener, und Totengrber uneigen, unbestimmt und wie in der letzten Todesverwirrung sprechen—diese gelehrte Leute, was wren die gegen die Wilden? Wer noch bei uns Spuren von dieser Festigkeit finden will, der suche sie ja nicht bei solchen;—unverdorbene Kinder, Frauenzimmer, Leute von gutem Naturverstande, mehr durch Ttigkeit als Spekulation gebildet, die sind, wenn das, was ich anfhrete, Beredsamkeit ist, alsdenn die einzigen und besten Redner unsrer Zeit.

In der alten Zeit aber waren es Dichter, Skalden, Gelehrte, die eben diese Sicherheit und Festigkeit des Ausdrucks am meisten mit Wrde, mit Wohlklang, mit Schnheit zu paaren wussten; und da sie also Seele und Mund in den festen Bund gebracht hatten, sich einander nicht zu verwirren, sondern zu untersttzen, beizuhelfen: so entstanden daher jene fr uns halbe Wunderwerke von aoidois, Sngern, Barden, Minstrels, wie die grssten Dichter der ltesten Zeiten waren. Homers Rhapsodien und Ossians Lieder waren gleichsam Impromptus, weil man damals noch von nichts als Impromptus der Rede wusste: dem letztern sind die Minstrels, wiewohl so schwach und entfernt, gefolgt; indessen doch gefolgt, bis endlich die Kunst kam und die Natur auslschte. In fremden Sprachen qulte man sich von Jugend auf, Quantitten von Silben kennen zu lernen, die uns nicht mehr Ohr und Natur zu fhlen gibt; nach Regeln zu arbeiten, deren wenigste ein Genie als Naturregeln anerkennt; ber Gegenstnde zu dichten, ber die sich nichts denken, noch weniger sinnen, noch weniger imaginieren lsst; Leidenschaften zu erknsteln, die wir nicht haben, Seelenkrfte nachzuahmen, die wir nicht besitzen,—und endlich wurde alles Falschheit, Schwche und Knstelei. Selbst jeder beste Kopf ward verwirret und verlor Festigkeit des Auges und der Hand, Sicherheit des Gedankens und des Ausdrucks, mithin die wahre Lebhaftigheit und Wahrheit und Andringlichkeit—alles ging verloren. Die Dichtkunst, die die strmendste, sicherste Tochter der menschlichen Seele sein sollte, ward die ungewisseste, lahmste, wankendste; die Gedichte fein oft corrigierte Knaben- und Schulexercitien.

[Notes: 3: Auszug aus einem Briefwechsel ber Ossian und die Lieder alter Vlker was published in 1773, as part of a collection of papers (by Herder, Goethe and Mser) entitled Von deutscher Art und Kunst. See Suphan's Herder, Vol. 5, page 155.]

4

From an essay entitled 'Shakespear'[4]: Sophocles and Shakspere.

Shakespear fand vor und um sich nichts weniger als Simplicitt von Vaterlandssitten, Taten, Neigungen und Geschichtstraditionen, die das griechische Drama bildete, und da also nach dem ersten metaphysischen Weisheitssatze aus nichts nichts wird, so wre, Philosophen berlassen, nicht bloss kein griechisches, sondern, wenn's ausserdem Nichts gibt, auch gar kein Drama in der Welt mehr geworden, und htte werden knnen. Da aber Genie bekanntermassen mehr ist als Philosophie, und Schpfer ein ander Ding als Zergliederer: so war's ein Sterblicher mit Gtterkraft begabt, eben aus dem entgegengesetztesten Stoff, und in der verschiedensten Bearbeitung, dieselbe Wirkung hervorzurufen, Furcht und Mitleid, und beide in einem Grade, wie jener erste Stoff und Bearbeitung es kaum hervorzubringen vermocht! Glcklicher Gttersohn ber sein Unternehmen! Eben das neue, erste, ganz Verschiedene, zeigt die Urkraft seines Berufs.

Shakespear fand keinen Chor vor sich, aber wohl Staats- und Marionettenspiele—wohl! Er bildete also aus diesen Staats- und Marionettenspielen, dem so schlechten Leim, das herrliche Geschpf, das da vor uns steht und lebt. Er fand keinen so einfachen Volks- und Vaterlandscharakter, sondern ein Vielfaches von Stnden, Lebensarten, Gesinnungen, Vlkern und Spracharten—der Gram um das Vorige wre vergebens gewesen;—er dichtete also Stnde und Menschen, Vlker und Spracharten, Knig und Narren, Narren und Knig zu dem herrlichen Ganzen! Er fand keinen so einfachen Geist der Geschichte, der Fabel, der Handlung: er nahm Geschichte, wie er sie fand, und setzte mit Schpfergeist das verschiedenartigste Zeug zu einem Wunderganzen zusammen, was wir, wenn nicht Handlung im griechischen Verstande, so Aktion im Sinne der mittlern, oder in der Sprache der neuern Zeiten Begebenheit (vnement), grosses Ereignis, nennen wollen—o Aristoteles, wenn du erschienest, wie wrdest du den neuen Sophokles homerisieren! wrdest so eine eigne Theorie ber ihn dichten, die jetzt seine Landsleute, Home und Hurd, Pope und Johnson, noch nicht gedichtet haben! Wrdest dich freuen, von jedem deiner Stcke, Handlung, Charakter, Meinungen, Ausdruck, Bhne, wie aus zwei Punkten des Dreiecks Linien zu ziehen, die sich oben in Einem Punkte des Zwecks, der Vollkommenheit begegnen! Wrdest zu Sophokles sagen: male das heilige Blatt dieses Altars! und du, o nordischer Barde, alle Seiten und Wnde dieses Tempels in dein unsterbliches Fresco!

Man lasse mich als Ausleger und Rhapsodisten fortfahren, denn ich bin nher Shakespear als dem Griechen. Wenn bei diesem das Eine einer Handlung herrscht, so arbeitet jener auf das Ganze eines Ereignisses, einer Begebenheit. Wenn bei jenem Ein Ton der Charaktere herrschet, so bei diesem alle Charaktere, Stnde und Lebensarten, so viel nur fhig und ntig sind, den Hauptklang seines Concerts zu bilden. Wenn in jenem Eine singende feine Sprache, wie in einem hheren ther tnet, so spricht dieser die Sprache aller Alter, Menschen und Menschenarten, ist Dolmetscher der Natur in all ihren Zungen—und auf so verschiedenen Wegen beide Vertraute Einer Gottheit. Und wenn jener Griechen vorstellt und lehrt und rhrt und bildet, so lehrt, rhrt und bildet Shakespear nordische Menschen! Mir ist, wenn ich ihn lese, Theater, Acteur, Coulisse verschwunden! Lauter einzelne im Sturm der Zeiten wehende Bltter aus dem Buch der Begebenheiten, der Vorsehung, der Welt! einzelne Geprge der Vlker, Stnde, Seelen! die alle die verschiedenartigsten und abgetrenntest handelnden Maschinen—was wir in der Hand des Weltschpfers sind—unwissende, blinde Werkzeuge zum ganzen Eines theatralischen Bildes, Einer Grsse habenden Begebenheit, die nur der Dichter berschauet. Wer kann sich einen grssern Dichter der nordischen Menschheit, und in dem Zeitalter, denken!

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