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A BOOK OF GERMAN LYRICS
Selected And Edited With Notes And Vocabulary
By
FRIEDRICH BRUNS Assistant Professor Of German, University Of Wisconsin
PREFACE
In compiling this Anthology my aim has been not so much to acquaint the student with individual great poems as with the poets themselves. With this end in view I have made the selections as full and as varied as possible and included in the Notes short introductory sketches of the poets. Since the book is intended for the work of fourth and fifth semester German in College (or third and fourth year High School), pedagogic considerations imposed certain limitations not only as to individual poems but also as to poets. Thus I felt that I must exclude Novalis, Hoelderlin, Brentano, Annette von Droste, Nietzsche and Dehmel. My standard of difficulty—aside from matters purely linguistic—was: Could a similar poem in English be read and appreciated by the same class of students? Moreover I tried out in a class of fourth semester German all poems that seemed to offer special difficulties and have made use of the experience thus acquired.
Some of my readers will undoubtedly be surprised at finding only two poems of Schiller included in the collection. May I point to the length of these two poems, 270 lines? Even to Goethe I have given only 362 lines. Why did I choose these two poems? The lighter lyric verse of Schiller is not representative of the poet nor would it have enriched the Anthology with a new note. Das Lied von der Glocke is too long for this small volume and is readily accessible in three different school editions. Schiller is at his best in his philosophical lyrics: as Goethe has said, in this field he is absolutely supreme. Poems like Das Ideal und das Leben or Der Spaziergang are far too difficult for our younger students. Das verschleierte Bild zu Sais, however, offers a philosophical problem which the younger mind can grasp without special training in philosophy. A few introductory remarks, such as I have given in the notes, will prepare the way. Both poems, furthermore, exemplify Schiller's ethical idealism. Certainly no other poems available at this stage could do more.
I have often been asked by teachers: How do you teach lyric poetry? An answer is found in my Notes to a number of the poems. The chief prerequisite is a warm love for the poets: nowhere is enthusiasm more contagious. A few introductory remarks will open the world of the poem to the student. The teacher must, of course, develop in the students their latent rhythmical sense both by example and precept. Aside from this lyric poetry teaches itself.
As to the use of the book I should suggest spending two or three weeks on one or two poets—I should begin with Goethe—and after that spend one hour a week for a semester or even a year. Some poems could be assigned for outside reading and then a group of poems be discussed in class.
On the whole I have limited myself to those poets that to-day stand out as preeminent. A possible exception is the once famous Rueckert. I could not resist the temptation of including his Aus der Jugendzeit, a poem of consummate beauty, Rueckert's one perfect lyric. Time has been relentless in its winnowing process. But if Geibel, Wilhelm Mueller and Bodenstedt have given way to Moerike, Keller and Hebbel, we assuredly have no reason for lament. If this little book help to win in our schools for these three and for Storm, C. F. Meyer, and Liliencron the recognition they deserve, I shall feel richly repaid for this labor of love.
Spring of 1921,
Madison, Wisconsin.
FRIEDRICH BRUNS.
CONTENTS
Goethe
1. Willkommen und Abschied 2. Mailied 3. Auf dem See 4. Heidenroeslein 5. Wanderers Nachtlied 6. Ein gleiches 7. Hoffnung 8. Erinnerung 9. Gefunden 10. Mignon 11. Harfenspieler 12. Der Koenig in Thule 13. Der Fischer 14. Erlkoenig 15. Gesang der Geister ueber den Wassern 16. Grenzen der Menschheit 17. Lied des Tuermers
Schiller
18. Die Kraniche des Ibykus 19. Das verschleierte Bild zu Sais
Uhland
20. Die Lerchen 21. Des Knaben Berglied 22. Schaefers Sonntagslied 23. Die Kapelle 24. Morgenlied 25. Fruehlingsglaube 26. Lob des Fruehlings 27. Das Schwert 28. Die Rache 29. Der Wirtin Toechterlein 30. Der gute Kamerad 31. Taillefer 32. Des Saengers Fluch
Eichendorff
33. Der frohe Wandersmann 34. Der Jaeger Abschied 35. Nachts 36. Fruehlingsdaemmerung 37. Elfe 38. Abendlandschaft 39. Die Nacht 40. Sehnsucht 41. Das zerbrochene Ringlein 42. Fruehe 43. Nachts 44. Mondnacht
Rueckert
45. Aus der Jugendzeit
Heine
46. Die Grenadiere 47. In mein gar zu dunkles Leben 48. Ich weiss nicht, was soll es bedeuten 49. Du bist wie eine Blume 50. Auf Fluegeln des Gesanges 51. Die Lotosblume aengstigt 52. Ein Fichtenbaum 53. Mein Liebchen, wir sassen beisammen 54. Ein Juengling liebt sein Maedchen 55. Daemmernd liegt der Sommerabend 56. Es faellt ein Stern herunter 57. Der Tod, das ist die kuehle Nacht 58. Sag, wo ist dein schoenes Liebchen 59. Frieden 60. Leise zieht durch mein Gemuet 61. Es war ein alter Koenig 62. Es ziehen die brausenden Wellen 63. Es ragt ins Meer der Runenstein 64. In der Fremde 65. Wo?
Platen
66. Das Grab im Busento 67. Im Wasser wogt die Lilie 68. Wie rafft' ich mich auf in der Nacht 69. Ich moechte, wann ich sterbe
Lenau
70. Bitte 71. Schilflied 72. Der Eichwald 73. Der Postillion 74. Die Drei 75. Der offene Schrank 76. Auf eine hollaendische Landschaft 77. Stimme des Regens 78. Herbst
Moerike
79. Um Mitternacht 80. Septembermorgen 81. Er ist's 82. In der Fruehe 83. Der Feuerreiter 84. Das verlassene Maegdlein 85. Lebewohl 86. Schoen-Rohtraut 87. Auf eine Lampe 88. Gebet 89. Denk' es, o Seele
Hebbel
90. Nachtlied 91. Das Kind 92. Nachtgefuehl 93. Gebet 94. Abendgefuehl 95. Ich und du 96. Sommerbild 97. Herbstbild 98. Der letzte Baum
Keller
99. An das Vaterland 100. Winternacht 101. Abendlied
Storm
102. Oktoberlied 103. Weihnachtslied 104. Sommermittag 105. Die Stadt 106. Ueber die Heide 107. Lucie 108. Eine Fruehlingsnacht 109. April 110. Mai 111. Elisabeth 112. Frauenhand 113. Schliesse mir die Augen beide
Meyer
114. Liederseelen 115. Nachtgeraeusche 116. Das tote Kind 117. Im Spaetboot 118. Vor der Ernte 119. Der roemische Brunnen 120. Neujahrsglocken 121. Saeerspruch 122. Schnitterlied 123. Nach einem Niederlaender 124. Eingelegte Ruder 125. Ewig jung ist nur die Sonne 126. Requiem 127. Abendwolke 128. Das Gloecklein 129. Die Bank des Alten
Liliencron
130. Die Musik kommt 131. Tod in Aehren 132. In Erinnerung 133. Wer weiss wo 134. Sommernacht 135. Meiner Mutter 136. Wiegenlied 137. Viererzug 138. Schoene Junitage
Notes
Vocabulary
Index of Titles and First Lines
Ein kleines Lied
Ein kleines Lied, wie geht's nur an, Dass man so lieb es haben kann, Was liegt darin? Erzaehle!
Es liegt darin ein wenig Klang, Ein wenig Wohllaut und Gesang, Und eine ganze Seele.
Marie von Ebner-Eschenbach
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
1. WILLKOMMEN UND ABSCHIED
Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde! Es war getan, fast eh' gedacht; Der Abend wiegte schon die Erde, Und an den Bergen hing die Nacht; Schon stand im Nebelkleid die Eiche, 5 Ein aufgetuermter Riese, da, Wo Finsternis aus dem Gestraeuche Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem Wolkenhuegel Sah klaeglich aus dem Duft hervor; 10 Die Winde schwangen leise Fluegel, Umsausten schauerlich mein Ohr; Die Nacht schuf tausend Ungeheuer, Doch frisch und froehlich war mein Mut: In meinen Adern, welches Feuer! 15 In meinem Herzen, welche Glut!
Dich sah ich, und die milde Freude Floss von dem suessen Blick auf mich; Ganz war mein Herz an deiner Seite, Und jeder Atemzug fuer dich. 20 Ein rosenfarbnes Fruehlingswetter Umgab das liebliche Gesicht, Und Zaertlichkeit fuer mich—ihr Goetter! Ich hofft' es, ich verdient' es nicht!
Doch ach, schon mit der Morgensonne 25 Verengt der Abschied mir das Herz: In deinen Kuessen, welche Wonne! In deinem Auge, welcher Schmerz! Ich ging, du standst und sahst zur Erden, Und sahst mir nach mit nassem Blick: 30 Und doch, welch Glueck, geliebt zu werden! Und lieben, Goetter, welch ein Glueck!
* * * * *
2. MAILIED
Wie herrlich leuchtet Mir die Natur! Wie glaenzt die Sonne! Wie lacht die Flur!
Es dringen Blueten 5 Aus jedem Zweig, Und tausend Stimmen Aus dem Gestraeuch,
Und Freud' und Wonne Aus jeder Brust. 10 O Erd', o Sonne! O Glueck, o Lust!
O Lieb', o Liebe! So golden schoen, Wie Morgenwolken 15 Auf jenen Hoehn!
Du segnest herrlich Das frische Feld, Im Bluetendampfe Die volle Welt. 20
O Maedchen, Maedchen, Wie lieb' ich dich! Wie blinkt dein Auge! Wie liebst du mich!
So liebt die Lerche 25 Gesang und Luft, Und Morgenblumen Den Himmelsduft,
Wie ich dich liebe Mit warmem Blut, 30 Die du mir Jugend Und Freud' und Mut
Zu neuen Liedern Und Taenzen giebst. Sei ewig gluecklich, 35 Wie du mich liebst!
* * * * *
3. AUF DEM SEE
Und frische Nahrung, neues Blut Saug' ich aus freier Welt; Wie ist Natur so hold und gut, Die mich am Busen haelt! Die Welle wieget unsern Kahn 5 Im Rudertakt hinauf, Und Berge, wolkig himmelan, Begegnen unserm Lauf.
Aug', mein Aug', was sinkst du nieder? Goldne Traeume, kommt ihr wieder? 10 Weg, du Traum! so gold du bist; Hier auch Lieb' und Leben ist.
Auf der Welle blinken Tausend schwebende Sterne; Weiche Nebel trinken 15 Rings die tuermende Ferne; Morgenwind umfluegelt Die beschattete Bucht, Und im See bespiegelt Sich die reifende Frucht. 20
* * * * *
4. HEIDENROESLEIN
Sah' ein Knab' ein Roeslein stehn, Roeslein auf der Heiden, War so jung und morgenschoen, Lief er schnell, es nah zu sehn, Sah's mit vielen Freuden. 5 Roeslein, Roeslein, Roeslein rot, Roeslein auf der Heiden.
Knabe sprach: Ich breche dich, Roeslein aus der Heiden! Roeslein sprach: Ich steche dich, 10 Dass du ewig denkst an mich, Und ich will's nicht leiden. Roeslein, Roeslein, Roeslein rot, Roeslein auf der Heiden.
Und der wilde Knabe brach 15 's Roeslein auf der Heiden; Roeslein wehrte sich und stach, Half ihm doch kein Weh und Ach, Musst' es eben leiden. Roeslein, Roeslein, Roeslein rot, 20 Roeslein auf der Heiden.
* * * * *
5. WANDRERS NACHTLIED
Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung fuellest, Ach, ich bin des Treibens muede! 5 Was soll all der Schmerz und Lust? Suesser Friede, Komm, ach, komm in meine Brust!
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6. EIN GLEICHES
Ueber allen Gipfeln Ist Ruh; In allen Wipfeln Spuerest du Kaum einen Hauch; 5 Die Voegelein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch.
* * * * *
7. HOFFNUNG
Schaff', das Tagwerk meiner Haende, Hohes Glueck, dass ich's vollende! Lass, o lass mich nicht ermatten! Nein, es sind nicht leere Traeume: Jetzt nur Stangen, diese Baeume 5 Geben einst noch Frucht und Schatten.
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8. ERINNERUNG
Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glueck ergreifen, Denn das Glueck ist immer da.
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9. GEFUNDEN
Ich ging im Walde So fuer mich hin, Und nichts zu suchen, Das war mein Sinn.
Im Schatten sah ich 5 Ein Bluemchen stehn, Wie Sterne leuchtend, Wie Aeuglein schoen.
Ich wollt' es brechen, Da sagt' es fein: 10 Soll ich zum Welken Gebrochen sein?
Ich grub's mit allen Den Wuerzlein aus, Zum Garten trug ich's 15 Am huebschen Haus.
Und pflanzt' es wieder Am stillen Ort; Nun zweigt es immer Und blueht so fort. 20
* * * * *
10. MIGNON
Kennst du das Land, wo die Zitronen bluehn, Im dunkeln Laub die Goldorangen gluehn, Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht? Kennst du es wohl? 5 Dahin! Dahin Moecht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.
Kennst du das Haus? Auf Saeulen ruht sein Dach, Es glaenzt der Saal, es schimmert das Gemach, Und Marmorbilder stehn und sehn mich an: Was hat man dir, du armes Kind, getan? 10 Kennst du es wohl? Dahin! Dahin Moecht' ich mit dir, o mein Beschuetzer, ziehn.
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg? Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg; In Hoehlen wohnt der Drachen alte Brut; 15 Es stuerzt der Fels und ueber ihn die Flut. Kennst du ihn wohl? Dahin! Dahin Geht unser Weg! o Vater, lass uns ziehn!
* * * * *
11. HARFENSPIELER
Wer nie sein Brot mit Traenen ass, Wer nie die kummervollen Naechte Auf seinem Bette weinend sass, Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Maechte.
Ihr fuehrt ins Leben uns hinein, 5 Ihr lasst den Armen schuldig werden, Dann ueberlasst ihr ihn der Pein: Denn alle Schuld raecht sich auf Erden.
* * * * *
12. DER KOENIG IN THULE
Es war ein Koenig in Thule, Gar treu bis an das Grab, Dem sterbend seine Buhle Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts darueber, 5 Er leert' ihn jeden Schmaus; Die Augen gingen ihm ueber, So oft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben, Zaehlt' er seine Staedt' im Reich, 10 Goennt' alles seinem Erben, Den Becher nicht zugleich.
Er sass beim Koenigsmahle, Die Ritter um ihn her, Auf hohem Vaetersaale 15 Dort auf dem Schloss am Meer.
Dort stand der alte Zecher, Trank letzte Lebensglut Und warf den heil'gen Becher Hinunter in die Flut. 20
Er sah ihn stuerzen, trinken Und sinken tief ins Meer. Die Augen taeten ihm sinken, Trank nie einen Tropfen mehr.
* * * * *
13. DER FISCHER
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, Ein Fischer sass daran, Sah nach dem Angel ruhevoll, Kuehl bis ans Herz hinan. Und wie er sitzt und wie er lauscht, 5 Teilt sich die Flut empor: Aus dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm: Was lockst du meine Brut 10 Mit Menschenwitz und Menschenlist Hinaus in Todesglut? Ach, wuesstest du, wie 's Fischlein ist So wohlig auf dem Grund, Du stiegst herunter, wie du bist, 15 Und wuerdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht, Der Mond sich nicht im Meer? Kehrt wellenatmend ihr Gesicht Nicht doppelt schoener her? 20 Lockt dich der tiefe Himmel nicht, Das feuchtverklaerte Blau? Lockt dich dein eigen Angesicht Nicht her in ew'gen Tau?
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, 25 Netzt' ihm den nackten Fuss; Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll, Wie bei der Liebsten Gruss.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; Da war's um ihn geschehn: 30 Halb zog sie ihn, halb sank er hin Und ward nicht mehr gesehn.
* * * * *
14. ERLKOENIG
Wer reitet so spaet durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er fasst ihn sicher, er haelt ihn warm.
"Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?"— 5 "Siehst, Vater, du den Erlkoenig nicht? Den Erlenkoenig mit Kron' und Schweif?"— "Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif."
"Du liebes Kind, komm, geh mit mir! "Gar schoene Spiele spiel' ich mit dir; 10 Manch bunte Blumen sind an dem Strand, "Meine Mutter hat manch guelden Gewand."—
"Mein Vater, mein Vater, und hoerest du nicht, Was Erlenkoenig mir leise verspricht?"— "Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; 15 In duerren Blaettern saeuselt der Wind."—
"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?" "Meine Toechter sollen dich warten schoen; Meine Toechter fuehren den naechtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein."— 20
"Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkoenigs Toechter am duestern Ort?"— "Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau."—
"Ich liebe dich, mich reizt deine schoene Gestalt; 25 Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt."— "Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an! Erlkoenig hat mir ein Leids getan!"—
Dem Vater grauset's, er reitet geschwind, Er haelt in Armen das aechzende Kind, 30 Erreicht den Hof mit Muehe und Not; In seinen Armen das Kind war tot.
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15. GESANG DER GEISTER UEBER DEN WASSERN
Des Menschen Seele Gleicht dem Wasser: Vom Himmel kommt es, Zum Himmel steigt es, Und wieder nieder 5 Zur Erde muss es, Ewig wechselnd.
Stroemt von der hohen, Steilen Felswand Der reine Strahl, 10 Dann staeubt er lieblich In Wolkenwellen Zum glatten Fels, Und leicht empfangen, Wallt er verschleiernd, 15 Leis rauschend Zur Tiefe nieder.
Ragen Klippen Dem Sturz entgegen, Schaeumt er unmutig 20 Stufenweise Zum Abgrund.
Im flachen Bette Schleicht er das Wiesental hin, Und in dem glatten See 25 Weiden ihr Antlitz Alle Gestirne.
Wind ist der Welle Lieblicher Buhler; Wind mischt vom Grund aus 30 Schaeumende Wogen.
Seele des Menschen, Wie gleichst du dem Wasser! Schicksal des Menschen, Wie gleichst du dem Wind! 35
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16. GRENZEN DER MENSCHHEIT
Wenn der uralte Heilige Vater Mit gelassener Hand Aus rollenden Wolken Segnende Blitze 5 Ueber die Erde saet, Kuess' ich den letzten Saum seines Kleides, Kindliche Schauer Treu in der Brust. 10
Denn mit Goettern Soll sich nicht messen Irgend ein Mensch. Hebt er sich aufwaerts Und beruehrt 15 Mit dem Scheitel die Sterne, Nirgends haften dann Die unsichern Sohlen, Und mit ihm spielen Wolken und Winde. 20
Steht er mit festen, Markigen Knochen Auf der wohlgegruendeten Dauernden Erde: Reicht er nicht auf, 25 Nur mit der Eiche Oder der Rebe Sich zu vergleichen.
Was unterscheidet Goetter von Menschen? 30 Dass viele Wellen Vor jenen wandeln, Ein ewiger Strom: Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, 35 Und wir versinken.
Ein kleiner Ring Begrenzt unser Leben, Und viele Geschlechter Reihen sich dauernd 40 An ihres Daseins Unendliche Kette.
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17. LIED DES TUERMERS
Zum Sehen geboren, Zum Schauen bestellt, Dem Turme geschworen, Gefaellt mir die Welt.
Ich blick' in die Ferne, 5 Ich seh' in der Naeh' Den Mond und die Sterne, Den Wald und das Reh.
So seh' ich in allen Die ewige Zier, 10 Und wie mir's gefallen, Gefall' ich auch mir.
Ihr gluecklichen Augen, Was je ihr gesehn, Es sei, wie es wolle, 15 Es war doch so schoen!
FRIEDRICH SCHILLER
18. DIE KRANICHE DES IBYKUS
Zum Kampf der Wagen und Gesaenge, Der auf Korinthus' Landesenge Der Griechen Staemme froh vereint, Zog Ibykus, der Goetterfreund. Ihm schenkte des Gesanges Gabe, 5 Der Lieder suessen Mund Apoll; So wandert' er an leichtem Stabe Aus Rhegium, des Gottes voll.
Schon winkt aus hohem Bergesruecken Akrokorinth des Wandrers Blicken, 10 Und in Poseidons Fichtenhain Tritt er mit frommem Schauder ein. Nichts regt sich um ihn her; nur Schwaerme Von Kranichen begleiten ihn, Die fernhin nach des Suedens Waerme 15 In graulichtem Geschwader ziehn.
"Seid mir gegruesst, befreundte Scharen, Die mir zur See Begleiter waren; Zum guten Zeichen nehm' ich euch, Mein Los, es ist dem euren gleich: 20 Von fern her kommen wir gezogen Und flehen um ein wirtlich Dach. Sei uns der Gastliche gewogen. Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!"
Und munter foerdert er die Schritte, 25 Und sieht sich in des Waldes Mitte; Da sperren auf gedrangem Steg, Zwei Moerder ploetzlich seinen Weg. Zum Kampfe muss er sich bereiten, Doch bald ermattet sinkt die Hand, 30 Sie hat der Leier zarte Saiten, Doch nie des Bogens Kraft gespannt.
Er ruft die Menschen an, die Goetter, Sein Flehen dringt zu keinem Retter; Wie weit er auch die Stimme schickt, 35 Nichts Lebendes wird hier erblickt. "So muss ich hier verlassen sterben, Auf fremdem Boden, unbeweint, Durch boeser Buben Hand verderben, Wo auch kein Raecher mir erscheint!" 40
Und schwer getroffen sinkt er nieder, Da rauscht der Kraniche Gefieder; Er hoert, schon kann er nicht mehr sehn, Die nahen Stimmen furchtbar kraehn. "Von euch, ihr Kraniche dort oben, 45 Wenn keine andre Stimme spricht, Sei meines Mordes Klag' erhoben!" Er ruft es, und sein Auge bricht.
Der nackte Leichnam wird gefunden, Und bald, obgleich entstellt von Wunden, 50 Erkennt der Gastfreund in Korinth Die Zuege, die ihm teuer sind. "Und muss ich so dich wiederfinden, Und hoffte mit der Fichte Kranz Des Saengers Schlaefe zu umwinden, 55 Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!"
Und jammernd hoeren's alle Gaeste, Versammelt bei Poseidons Feste, Ganz Griechenland ergreift der Schmerz, Verloren hat ihn jedes Herz. 60 Und stuermend draengt sich zum Prytanen Das Volk, es fodert seine Wut, Zu raechen des Erschlagnen Manen, Zu suehnen mit des Moerders Blut.
Doch wo die Spur, die aus der Menge, 65 Der Voelker flutendem Gedraenge, Gelocket von der Spiele Pracht, Den schwarzen Taeter kenntlich macht? Sind's Raeuber, die ihn feig erschlagen? Tat's neidisch ein verborgner Feind? 70 Nur Helios vermag's zu sagen, Der alles Irdische bescheint.
Er geht vielleicht mit frechem Schritte Jetzt eben durch der Griechen Mitte. Und waehrend ihn die Rache sucht, 75 Geniesst er seines Frevels Frucht. Auf ihres eignen Tempels Schwelle Trotzt er vielleicht den Goettern, mengt Sich dreist in jene Menschenwelle, Die dort sich zum Theater draengt. 80
Denn Bank an Bank gedraenget sitzen, Es brechen fast der Buehne Stuetzen, Herbeigestroemt von fern und nah', Der Griechen Voelker wartend da. Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen, 85 Von Menschen wimmelnd waechst der Bau In weiter stets geschweiftem Bogen Hinauf bis in des Himmels Blau.
Wer zaehlt die Voelker, nennt die Namen, Die gastlich hier zusammenkamen? 90 Von Kekrops' Stadt, von Aulis' Strand, Von Phokis, vom Spartanerland, Von Asiens entlegner Kueste, Von allen Inseln kamen sie, Und horchen von dem Schaugerueste 95 Des Chores grauser Melodie,
Der, streng und ernst, nach alter Sitte Mit langsam abgemessnem Schritte Hervortritt aus dem Hintergrund, Umwandelnd des Theaters Rund. 100 So schreiten keine ird'schen Weiber! Die zeugete kein sterblich Haus! Es steigt das Riesenmass der Leiber Hoch ueber Menschliches hinaus.
Ein schwarzer Mantel schlaegt die Lenden, 105 Sie schwingen in entfleischten Haenden Der Fackel duesterrote Glut, In ihren Wangen fliesst kein Blut. Und wo die Haare lieblich flattern, Um Menschenstirnen freundlich wehn, 110 Da sieht man Schlangen hier und Nattern Die giftgeschwollnen Baeuche blaehn.
Und schauerlich gedreht im Kreise, Beginnen sie des Hymnus Weise, Der durch das Herz zerreissend dringt, 115 Die Bande um den Suender schlingt. Besinnungraubend, herzbetoerend Schallt der Erinnyen Gesang. Er schallt, des Hoerers Mark verzehrend, Und duldet nicht der Leier Klang: 120
"Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele! Ihm duerfen wir nicht raechend nahn, Er wandelt frei des Lebens Bahn. Doch wehe, wehe, wer verstohlen 125 Des Mordes schwere Tat vollbracht! Wir heften uns an seine Sohlen, Das furchtbare Geschlecht der Nacht.
"Und glaubt er fliehend zn entspringen, Gefluegelt sind wir da, die Schlingen 130 Ihm werfend um den fluecht'gen Fuss, Dass er zu Boden fallen muss. So jagen wir ihn ohn' Ermatten, Versoehnen kann uns keine Reu', Ihn fort und fort bis zu den Schatten, 135 Und geben ihn auch dort nicht frei."
So singend, tanzen sie den Reigen, Und Stille, wie des Todes Schweigen, Liegt ueberm ganzen Hause schwer, Als ob die Gottheit nahe waer'. 140 Und feierlich nach alter Sitte Umwandelnd des Theaters Rund Mit langsam abgemessnem Schritte, Verschwinden sie im Hintergrnnd.
Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet 145 Noch zweifelnd jede Brust und bebet, Und huldiget der furchtbarn Macht, Die richtend im Verborgnen wacht, Die, unerforschlich, unergruendet, Des Schicksals dunkeln Knaeuel flicht, 150 Dem tiefen Herzen sich verkuendet, Doch fliehet vor dem Sonnenlicht.
Da hoert man auf den hoechsten Stufen Auf einmal eine Stimme rufen: "Sieh da, sieh da, Timotheus, 155 Die Kraniche des Ibykus!"— Und finster ploetzlich wird der Himmel, Und ueber dem Theater hin Sieht man in schwaerzlichtem Gewimmel Ein Kranichheer vorueberziehn. 160
"Des Ibykus!" — Der teure Name Ruehrt jede Brust mit neuem Grame, Und wie im Meere Well' auf Well', So laeuft's von Mund zu Munde schnell: "Des Ibykus? den wir beweinen? 165 Den eine Moerderhand erschlug? Was ist's mit dem? Was kann er meinen? Was ist's mit diesem Kranichzug?"
Und lauter immer wird die Frage, Und ahnend fliegt's mit Blitzesschlage 170 Durch alle Herzen: "Gebet acht, Das ist der Eumeniden Macht! Der fromme Dichter wird gerochen, Der Moerder bietet selbst sich dar— Ergreift ihn, der das Wort gesprochen, 175 Und ihn, an den's gerichtet war!"
Doch dem war kaum das Wort entfahren, Moecht' er's im Busen gern bewahren; Umsonst! der schreckenbleiche Mund Macht schnell die Schuldbewussten kund. 180 Man reisst und schleppt sie vor den Richter, Die Szene wird zum Tribunal, Und es gestehn die Boesewichter, Getroffen von der Rache Strahl.
* * * * *
19. DAS VERSCHLEIERTE BILD ZU SAIS
Ein Juengling, den des Wissens heisser Durst Nach Sais in Aegypten trieb, der Priester Geheime Weisheit zu erlernen, hatte Schon manchen Grad mit schnellem Geist durcheilt; Stets riss ihn seine Forschbegierde weiter, 5 Und kaum besaenftigte der Hierophant Den ungeduldig Strebenden. "Was hab ich, Wenn ich nicht alles habe?" sprach der Juengling. "Gibt's etwa hier ein Weniger und Mehr? Ist deine Wahrheit wie der Sinne Glueck 10 Nur eine Summe, die man groesser, kleiner Besitzen kann und immer doch besitzt? Ist sie nicht eine einz'ge, ungeteilte? Nimm Einen Ton aus einer Harmonie, Nimm Eine Farbe aus dem Regenbogen, 15 Und alles, was dir bleibt, ist nichts, solang' Das schoene All der Toene fehlt und Farben."
Indem sie einst so sprachen, standen sie In einer einsamen Rotonde still, Wo ein verschleiert Bild von Riesengroesse 20 Dem Juengling in die Augen fiel. Verwundert Blickt er den Fuehrer an und spricht: "Was ist's, Das hinter diesem Schleier sich verbirgt?"— "Die Wahrheit", ist die Antwort.—"Wie?" ruft jener, "Nach Wahrheit streb ich ja allein, und diese 25 Gerade ist es, die man mir verhuellt?"
"Das mache mit der Gottheit aus", versetzt Der Hierophant. "Kein Sterblicher, sagt sie, Rueckt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe. Und wer mit ungeweihter, schuld'ger Hand 30 Den heiligen, verbotnen frueher hebt, Der, spricht die Gottheit"—"Nun?"—"Der sieht die Wahrheit." "Ein seltsamer Orakelspruch! Du selbst, Du haettest also niemals ihn gehoben?"
"Ich?—Wahrlich nicht! Und war auch nie dazu 35 Versucht."—"Das fass' ich nicht. Wenn von der Wahrheit Nur diese duenne Scheidewand mich trennte"— "Und ein Gesetz", faellt ihm sein Fuehrer ein, "Gewichtiger, mein Sohn, als du es meinst, Ist dieser duenne Flor—fuer deine Hand 40 Zwar leicht, doch zentnerschwer fuer dein Gewissen."
Der Juengling ging gedankenvoll nach Hause; Ihm raubt des Wissens brennende Begier Den Schlaf, er waelzt sich gluehend auf dem Lager Und rafft sich auf um Mitternacht. Zum Tempel 45 Fuehrt unfreiwillig ihn der scheue Tritt. Leicht ward es ihm, die Mauer zu ersteigen, Und mitten in das Innre der Rotonde Traegt ein beherzter Sprung den Wagenden.
Hier steht er nun, und grauenvoll umfaengt 50 Den Einsamen die lebenlose Stille, Die nur der Tritte hohler Widerhall In den geheimen Grueften unterbricht. Von oben durch der Kuppel Oeffnung wirft Der Mond den bleichen, silberblauen Schein, 55 Und furchtbar wie ein gegenwaert'ger Gott Erglaenzt durch des Gewoelbes Finsternisse In ihrem langen Schleier die Gestalt.
Er tritt hinan mit ungewissem Schritt; Schon will die freche Hand das Heilige beruehren, 60 Da zuckt es heiss und kuehl durch sein Gebein Und stoesst ihn weg mit unsichtbarem Arme. Ungluecklicher, was willst du tun? So ruft In seinem Innern eine treue Stimme. Versuchen den Allheiligen willst du? 65 Kein Sterblicher, sprach des Orakels Mund, Rueckt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe. Doch, setzte nicht derselbe Mund hinzu: Wer diesen Schleier hebt, soll Wahrheit schauen? "Sei hinter ihm, was will! Ich heb ihn auf." 70 Er rufts mit lauter Stimm'. "Ich will sie schauen." Schauen! Gellt ihm ein langes Echo spottend nach.
Er spricht's und hat den Schleier aufgedeckt. "Nun", fragt ihr, "und was zeigte sich ihm hier?" 75 Ich weiss es nicht. Besinnungslos und bleich, So fanden ihn am andern Tag die Priester Am Fussgestell der Isis ausgestreckt. Was er allda gesehen und erfahren, Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig 80 War seines Lebens Heiterkeit dahin, Ihn riss ein tiefer Gram zum fruehen Grabe. "Weh dem", dies war sein warnungsvolles Wort, Wenn ungestueme Frager in ihn drangen, "Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld, 85 Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein!"
LUDWIG UHLAND
20. DIE LERCHEN
Welch ein Schwirren, welch ein Flug? Sei willkommen, Lerchenzug! Jene streift der Wiese Saum, Diese rauschet durch den Baum.
Manche schwingt sich himmelan, 5 Jauchzend auf der lichten Bahn; Eine, voll von Liedeslust, Flattert hier in meiner Brust.
* * * * *
21. DES KNABEN BERGLIED
Ich bin vom Berg der Hirtenknab', Seh' auf die Schloesser all herab; Die Sonne strahlt am ersten hier, Am laengsten weilet sie bei mir; Ich bin der Knab' vom Berge! 5
Hier ist des Stromes Mutterhaus, Ich trink' ihn frisch vom Stein heraus; Er braust vom Fels in wildem Lauf, Ich fang' ihn mit den Armen auf; Ich bin der Knab' vom Berge! 10
Der Berg, der ist mein Eigentum, Da ziehn die Stuerme rings herum; Und heulen sie von Nord und Sued, So ueberschallt sie doch mein Lied: Ich bin der Knab' vom Berge! 15
Sind Blitz und Donner unter mir, So steh' ich hoch im Blauen hier; Ich kenne sie und rufe zu: Lasst meines Vaters Haus in Ruh'! Ich bin der Knab' vom Berge! 20
Und wann die Sturmglock' einst erschallt, Manch Feuer auf den Bergen wallt, Dann steig' ich nieder, tret' ins Glied Und schwing' mein Schwert und sing' mein Lied: Ich bin der Knab' vom Berge! 25
* * * * *
22. SCHAEFERS SONNTAGSLIED
Das ist der Tag des Herrn! Ich bin allein auf weiter Flur; Noch eine Morgenglocke nur, Nun Stille nah und fern.
Anbetend knie' ich hier. 5 O suesses Graun, geheimes Wehn, Als knieten viele ungesehn Und beteten mit mir!
Der Himmel nah und fern, Er ist so klar und feierlich, 10 So ganz, als wollt' er oeffnen sich. Das ist der Tag des Herrn!
* * * * *
23. DIE KAPELLE
Droben stehet die Kapelle, Schauet still ins Tal hinab, Drunten singt bei Wies' und Quelle Froh und hell der Hirtenknab'.
Traurig toent das Gloecklein nieder, 5 Schauerlich der Leichenchor; Stille sind die frohen Lieder, Und der Knabe lauscht empor.
Droben bringt man sie zu Grabe, Die sich freuten in dem Tal; 10 Hirtenknabe, Hirtenknabe! Dir auch singt man dort einmal.
* * * * *
24. MORGENLIED
Noch ahnt man kaum der Sonne Licht, Noch sind die Morgenglocken nicht Im finstern Tal erklungen.
Wie still des Waldes weiter Raum! Die Voeglein zwitschern nur im Traum, 5 Kein Sang hat sich erschwungen.
Ich hab' mich laengst ins Feld gemacht Und habe schon dies Lied erdacht Und hab' es laut gesungen.
* * * * *
25. FRUEHLINGSGLAUBE
Die linden Luefte sind erwacht, Sie saeuseln und weben Tag und Nacht, Sie schaffen an allen Enden. O frischer Duft, o neuer Klang! Nun, armes Herze, sei nicht bang! 5 Nun muss sich alles, alles wenden.
Die Welt wird schoener mit jedem Tag, Man weiss nicht, was noch werden mag, Das Bluehen will nicht enden. Es blueht das fernste, tiefste Tal; 10 Nun, armes Herz, vergiss der Qual! Nun muss sich alles, alles wenden.
* * * * *
26. LOB DES FRUEHLINGS
Saatengruen, Veilchenduft, Lerchenwirbel, Amselschlag, Sonnenregen, linde Luft!
Wenn ich solche Worte singe, Braucht es dann noch grosser Dinge, 5 Dich zu preisen, Fruehlingstag?
* * * * *
27. DAS SCHWERT
Zur Schmiede ging ein junger Held, Er hatt' ein gutes Schwert bestellt; Doch als er's wog in freier Hand, Das Schwert er viel zu schwer erfand.
Der alte Schmied den Bart sich streicht: 5 "Das Schwert ist nicht zu schwer noch leicht, Zu schwach ist Euer Arm, ich mein'; Doch morgen soll geholfen sein."
"Nein, heut, bei aller Ritterschaft! Durch meine, nicht durch Feuers Kraft." 10 Der Juengling spricht's, ihn Kraft durchdringt, Das Schwert er hoch in Lueften schwingt.
* * * * *
28. DIE RACHE
Der Knecht hat erstochen den edeln Herrn, Der Knecht waer' selber ein Ritter gern.
Er hat ihn erstochen im dunkeln Hain Und den Leib versenket im tiefen Rhein.
Hat angeleget die Ruestung blank, 5 Auf des Herren Ross sich geschwungen frank.
Und als er sprengen will ueber die Brueck', Da stutzet das Ross und baeumt sich zurueck.
Und als er die gueldnen Sporen ihm gab, Da schleudert's ihn wild in den Strom hinab. 10
Mit Arm, mit Fuss er rudert und ringt, Der schwere Panzer ihn niederzwingt.
* * * * *
29. DER WIRTIN TOECHTERLEIN
Es zogen drei Bursche wohl ueher den Rhein, Bei einer Frau Wirtin, da kehrten sie ein:
"Frau Wirtin, hat Sie gut Bier und Wein? Wo hat Sie Ihr schoenes Toechterlein?"
"Mein Bier und Wein ist frisch und klar. 5 Mein Toechterlein liegt auf der Totenbahr'."
Und als sie traten zur Kammer hinein, Da lag sie in einem schwarzen Schrein.
Der erste, der schlug den Schleier zurueck Und schaute sie an mit traurigem Blick: 10
"Ach, lebtest du noch, du schoene Maid! Ich wuerde dich lieben von dieser Zeit."
Der zweite deckte den Schleier zu, Und kehrte sich ab und weinte dazu:
"Ach, dass du liegst auf der Totenbahr'! 15 Ich hab' dich geliebet so manches Jahr."
Der dritte hub ihn wieder sogleich Und kuesste sie an den Mund so bleich:
"Dich liebt' ich immer, dich lieb' ich noch heut Und werde dich lieben in Ewigkeit." 20
* * * * *
30. DER GUTE KAMERAD
Ich hatt' einen Kameraden, Einen bessern findst du nit Die Trommel schlug zum Streite, Er ging an meiner Seite In gleichem Schritt und Tritt. 5
Eine Kugel kam geflogen; Gilt's mir oder gilt es dir? Ihn hat es weggerissen, Er liegt mir vor den Fuessen, Als waer's ein Stueck von mir. 10
Will mir die Hand noch reichen, Derweil ich eben lad': "Kann dir die Hand nicht geben; Bleib du im ew'gen Leben Mein guter Kamerad!" 15
* * * * *
31. TAILLEFER
Normannenherzog Wilhelm sprach einmal: "Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal? Wer singet vom Morgen bis in die spaete Nacht So lieblich, dass mir das Herz im Leibe lacht?"
"Das ist der Taillefer, der so gerne singt 5 Im Hofe, wenn er das Rad am Brunnen schwingt, Im Saale, wann er das Feuer schueret und facht, Wann er abends sich legt und wann er morgens erwacht."
Der Herzog sprach: "Ich hab' einen guten Knecht, Den Taillefer; der dienet mir fromm und recht, 10 Er treibt mein Rad und schueret mein Feuer gut Und singet so hell; das hoehet mir den Mut."
Da sprach der Taillefer: "Und waer' ich frei, Viel besser wollt' ich dienen und singen dabei. Wie wollt' ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd! 15 Wie wollt' ich singen und klingen mit Schild und mit Schwert!"
Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild Auf einem hohen Pferde mit Schwert und mit Schild. Des Herzogs Schwester schaute vom Turm ins Feld; Sie sprach: "Dort reitet, bei Gott, ein stattlicher Held." 20
Und als er ritt vorueber an Fraeuleins Turm, Da sang er bald wie ein Luestlein, bald wie ein Sturm. Sie sprach: "Der singet, das ist eine herrliche Lust; Es zittert der Turm, und es zittert mein Herz in der Brust."
Der Herzog Wilhelm fuhr wohl ueber das Meer, 25 Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer. Er sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand; "Hei," rief er, "ich fass' und ergreife dich, Engelland!"
Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt, Der edle Taillefer vor den Herzog ritt: 30 "Manch Jaehrlein hab' ich gesungen und Feuer geschuert, Manch Jaehrlein gesungen und Schwert und Lanze geruehrt.
"Und hab' ich Euch gedient und gesungen zu Dank, Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank, So lasst mich das entgelten am heutigen Tag, 35 Vergoennet mir auf die Feinde den ersten Schlag!"
Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer Aus einem hohen Pferde mit Schwert und mit Speer; Er sang so herrlich, das klang ueber Hastingsfeld; Von Roland sang er und manchem frommen Held. 40
Und als das Rolandslied wie ein Sturm erscholl, Da wallete manch Panier, manch Herze schwoll, Da brannten Ritter und Mannen von hohem Mut; Der Taillefer sang und schuerte das Feuer gut.
Dann sprengt' er hinein und fuehrte den ersten Stoss, 45 Davon ein englischer Ritter zur Erde schoss; Dann schwang er das Schwert und fuehrte den ersten Schlag, Davon ein englischer Ritter am Boden lag.
Normannen sahen's, die harrten nicht allzulang, Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schilderklang. 50 Hei, sausende Pfeile, klirrender Schwerterschlag! Bis Harald fiel und sein trotziges Heer erlag.
Herzog Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld, Inmitten der Toten spannt' er sein Gezelt; Da sass er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand, 55 Auf dem Haupte die Koenigskrone von Engelland:
"Mein tapfrer Taillefer, komm! trink mir Bescheid! Du hast mir viel gesungen in Lieb' und in Leid; Doch heut im Hastingsfelde dein Sang und dein Klang, Der toenet mir in den Ohren mein Leben lang." 60
* * * * *
32. DES SAENGERS FLUCH
Es stand in alten Zeiten ein Schloss, so hoch und hehr, Weit glaenzt es ueher die Lande his an das blaue Meer, Und rings von duft'gen Gaerten ein bluetenreicher Kranz, Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.
Dort sass ein stolzer Koenig, an Land und Siegen reich, 5 Er sass auf seinem Throne so finster und so bleich; Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut, Und was er spricht, ist Geissel, und was er schreibt, ist Blut.
Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Saengerpaar, Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar; 10 Der Alte mit der Harfe, der sass auf schmuckem Ross, Es schritt ihm frisch zur Seite der bluehende Genoss.
Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit, mein Sohn! Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton! Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! 15 Es gilt uns heut, zu ruehren des Koenigs steinern Herz."
Schon stehn die beiden Saenger im hohen Saeulensaal, Und auf dem Throne sitzen der Koenig und sein Gemahl, Der Koenig furchtbar praechtig wie blut'ger Nordlichtschein, Die Koenigin suess und milde, als blickte Vollmond drein. 20
Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll, Dass reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll; Dann stroemte himmlisch helle des Juenglings Stimme vor, Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.
Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit, 25 Von Freiheit, Maennerwuerde, von Treu' und Heiligkeit, Sie singen von allem Suessen, was Menschenbrust durchbebt, Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.
Die Hoeflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott, Des Koenigs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott; 30 Die Koenigin, zerflossen in Wehmut und in Lust, Sie wirft den Saengern nieder die Rose von ihrer Brust.
"Ihr habt mein Volk verfuehret; verlockt ihr nun mein Weib?" Der Koenig schreit es wuetend, er bebt am ganzen Leib; Er wirft sein Schwert, das blitzend des Juenglings Brust 35 durchdringt, Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.
Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hoerer Schwarm. Der Juengling hat verroechelt in seines Meisters Arm; Der schlaegt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Ross, Er bind't ihn aufrecht feste, verlaesst mit ihm das Schloss. 40
Doch vor dem hohen Tore, da haelt der Saengergreis Da fasst er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis, An einer Marmorsaeule, da hat er sie zerschellt; Dann ruft er, dass es schaurig durch Schloss und Gaerten gellt:
"Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie toene suesser Klang 45 Durch eure Raeume wieder, nie Saite noch Gesang, Nein, Seufzer nur und Stoehnen und scheuer Sklavenschritt, Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!
"Weh euch, ihr duft'gen Gaerten im holden Maienlicht! Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht, 50 Dass ihr darob verdorret, dass jeder Quell versiegt, Dass ihr in kuenft'gen Tagen versteint, veroedet liegt.
"Weh dir, verruchter Moerder! du Fluch des Saengertums! Umsonst sei all dein Ringen nach Kraenzen blut'gen Ruhms! Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht, 55 Sei wie ein letztes Roecheln in leere Luft verhaucht!"
Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehoert, Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstoert; Noch eine hohe Saeule zeugt von verschwundner Pracht; Auch diese, schon geborsten, kann stuerzen ueber Nacht. 60
Und rings statt duft'ger Gaerten ein oedes Heideland, Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand, Des Koenigs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch; Versunken und vergessen! das ist des Saengers Fluch.
Joseph von Eichendorff
33. DER FROHE WANDERSMANN
Wem Gott will rechte Gunst erweisen, Den schickt er in die weite Welt; Dem will er seine Wunder weisen In Berg und Wald und Strom und Feld.
Die Traegen, die zu Hause liegen, 5 Erquicket nicht das Morgenrot; Sie wissen nur von Kinderwiegen, Von Sorgen, Last und Not um Brot.
Die Baechlein von den Bergen springen, Die Lerchen schwirren hoch vor Lust, 10 Was sollt' ich nicht mit ihnen singen Aus voller Kehl' und frischer Brust?
Den lieben Gott lass' ich nur walten; Der Baechlein, Lerchen, Wald und Feld Und Erd' und Himmel will erhalten 15 Hat auch mein' Sach' aufs best' bestellt!
* * * * *
34. DER JAEGER ABSCHIED
Wer hat dich, du schoener Wald Aufgebaut so hoch da droben? Wohl den Meister will ich loben, So lang' noch mein' Stimm' erschallt. Lebe wohl, 5 Lebe wohl, du schoener Wald!
Tief die Welt verworren schallt, Oben einsam Rehe grasen, Und wir ziehen fort und blasen, Dass es tausendfach verhallt: 10 Lebe wohl, Lebe wohl, du schoener Wald!
Banner, der so kuehle wallt! Unter deinen gruenen Wogen Hast du treu uns auferzogen, 15 Frommer Sagen Aufenthalt! Lebe wohl, Lebe wohl, du schoener Wald!
Was wir still gelobt im Wald, Wollen's draussen ehrlich halten, 20 Ewig bleiben treu die Alten: Deutsch Panier, das rauschend wallt, Lebe wohl! Schirm dich Gott, du schoener Wald!
* * * * *
35. NACHTS
Ich stehe in Waldesschatten Wie an des Lebens Rand, Die Laender wie daemmernde Matten, Der Strom wie ein silbern Band.
Von fern nur schlagen die Glocken 5 Ueber die Waelder herein, Ein Reh hebt den Kopf erschrocken Und schlummert gleich wieder ein.
Der Wald aber ruehret die Wipfel Im Traum von der Felsenwand. 10 Denn der Herr geht ueber die Gipfel Und segnet das stille Land.
* * * * *
36. FRUEHLINGSDAEMMERUNG
In der stillen Pracht, In allen frischen Bueschen und Baeumen Fluestert's wie Traeumen Die ganze Nacht. Denn ueber den mondbeglaenzten Laendern 5 Mit langen weissen Gewaendern Ziehen die schlanken Wolkenfrau'n wie geheime Gedanken, Senden von den Felsenwaenden Hinab die behenden 10 Fruehlingsgesellen, die hellen Waldquellen, Die's unten bestellen An die duft'gen Tiefen, Die gerne noch schliefen. Nun wiegen und neigen in ahnendem Schweigen 15 Sich alle so eigen Mit Aehren und Zweigen, Erzaehlen's den Winden, Die durch die bluehenden Linden Vorueber den grasenden Rehen 20 Saeuselnd ueber die Seen gehen, Dass die Niren verschlafen auftauchen Und fragen, Was sie so lieblich hauchen— Wer mag es wohl sagen? 25
* * * * *
37. ELFE
Bleib bei uns! Wir haben den Tanzplan im Tal Bedeckt mit Mondesglanze, Johanneswuermchen erleuchten den Saal, Die Heimchen spielen zum Tanze.
Die Freude, das schoene leichtglaeubige Kind, 5 Es wiegt sich in Abendwinden: Wo Silber auf Zweigen und Bueschen rinnt, Da wirst du die schoenste finden!
* * * * *
38. ABENDLANDSCHAFT
Der Hirt blaest seine Weise, Von fern ein Schuss noch faellt, Die Waelder rauschen leise Und Stroeme tief im Feld.
Nur hinter jenem Huegel 5 Noch spielt der Abendschein— O haett' ich, haett' ich Fluegel, Zu fliegen da hinein!
* * * * *
39. DIE NACHT
Nacht ist wie ein stilles Meer, Lust und Leid und Liebesklagen Kommen so verworren her In dem linden Wellenschlagen.
Wuensche wie die Wolken sind, 5 Schiffen durch die stillen Raeume, Wer erkennt im lauen Wind, Ob's Gedanken oder Traeume?—
Schliess' ich nun auch Herz und Mund Die so gern den Sternen klagen: 10 Leise doch im Herzensgrund Bleibt das linde Wellenschlagen.
* * * * *
40. SEHNSUCHT
Es schienen so golden die Sterne, Am Fenster ich einsam stand Und hoerte aus weiter Ferne Ein Posthorn im stillen Land. Das Herz mir im Leib entbrennte, 5 Da hab' ich mir heimlich gedacht: Ach, wer da mitreisen koennte In der praechtigen Sommernacht!
Zwei junge Gesellen gingen Vorueber am Bergeshang. 10 Ich hoerte im Wandern sie singen Die stille Gegend entlang: Von schwindelnden Felsenschlueften, Wo die Waelder rauschen so sacht, Von Quellen, die von den Klueften 15 Sich stuerzen in die Waldesnacht.
Sie sangen von Marmorbildern, Von Gaerten, die ueberm Gestein In daemmernden Lauben verwildern, Palaesten im Mondenschein, 20 Wo die Maedchen am Fenster lauschen, Wann der Lauten Klang erwacht, Und die Brunnen verschlafen rauschen In der praechtigen Sommernacht.
* * * * *
41. DAS ZERBROCHENE RINGLEIN
In einem kuehlen Grunde Da geht ein Muehlenrad, Mein' Liebste ist verschwunden. Die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu' versprochen, 5 Gab mir ein'n Ring dabei, Sie hat die Treu' gebrochen, Mein Ringlein sprang entzwei.
Ich moecht' als Spielmann reisen Weit in die Welt hinaus, 10 Und singen meine Weisen, Und gehn von Haus zu Haus.
Ich moecht' als Reiter fliegen Wohl in die blut'ge Schlacht, Um stille Feuer liegen 15 Im Feld bei dunkler Nacht.
Hoer ich das Muehlrad gehen: Ich weiss nicht, was ich will— Ich moecht' am liebsten sterben, Da waer's auf einmal still. 20
* * * * *
42. FRUEHE
Im Osten graut's, der Nebel faellt, Wer weiss, wie bald sich's ruehret! Doch schwer im Schlaf noch ruht die Welt, Von allem nichts verspueret.
Nur eine fruehe Lerche steigt, 5 Es hat ihr was getraeumet Vom Lichte, wenn noch alles schweigt, Das kaum die Hoehen saeumet.
* * * * *
* * * * *
43. NACHTS
Ich wandre durch die stille Nacht, Da schleicht der Mond so heimlich sacht Oft aus der dunklen Wolkenhuelle, Und hin und her im Tal Erwacht die Nachtigall, 5 Dann wieder alles grau und stille.
O wunderbarer Nachtgesang: Von fern im Land der Stroeme Gang, Leis Schauern in den dunklen Baeumen— Wirrst die Gedanken mir, 10 Mein irres Singen hier Ist wie ein Rufen nur aus Traeumen.
* * * * *
44. MONDNACHT
Es war, als haett' der Himmel Die Erde still gekuesst, Dass sie im Bluetenschimmer Von ihm nun traeumen muesst'.
Die Lust ging durch die Felder, 5 Die Uhren wogten sacht, Es rauschten leis die Waelder, So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte Weit ihre Fluegel aus, 10 Flog durch die stillen Lande, Als floege sie nach Haus.
FRIEDRICH RUECKERT
45. AUS DER JUGENDZEIT
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit Klingt ein Lied mir immerdar; O wie liegt so weit, o wie liegt so weit, Was mein einst war!
Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang, 5 Die den Herbst und Fruehling bringt; Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang Das jetzt noch klingt?
"Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, Waren Kisten und Kasten schwer; 10 Als ich wieder kam, als ich wieder kam, War alles leer."
O du Kindermund, o du Kindermund, Unbewusster Weisheit froh, Vogelsprachekund, vogelsprachekund 15 Wie Salomo!
O du Heimatflur, o du Heimatflur, Lass zu deinem heil'gen Raum Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur Entfliehn im Traum! 20
Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, War die Welt mir voll so sehr; Als ich wieder kam, als ich wieder kam, War alles leer.
Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt, 25 Und der leere Kasten schwoll, Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert, Wird's nie mehr voll.
Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt, Dir zurueck, wonach du weinst; 30 Doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt Im Dorf wie einst:
"Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, Waren Kisten und Kasten schwer; Als ich wieder kam, als ich wieder kam, 35 War alles leer."
HEINRICH HEINE
46. DIE GRENADIERE
Nach Frankreich zogen zwei Grenadier', Die waren in Russland gefangen. Und als sie kamen ins deutsche Quartier, Sie liessen die Koepfe hangen.
Da hoerten sie beide die traurige Maer': 5 Dass Frankreich verloren gegangen, Besiegt und zerschlagen das grosse Heer,— Und der Kaiser, der Kaiser gefangen.
Da weinten zusammen die Grenadier' Wohl ob der klaeglichen Kunde. 10 Der eine sprach: Wie weh wird mir, Wie brennt meine alte Wunde!
Der andre sprach: Das Lied ist aus, Auch ich moecht' mit dir sterben, Doch hab' ich Weib und Kind zu Haus, 15 Die ohne mich verderben.
Was schert mich Weib, was schert mich Kind! Ich trage weit bessres Verlangen; Lass sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind,— Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen! 20
Gewaehr mir, Bruder, eine Bitt': Wenn ich jetzt sterben werde, So nimm meine Leiche nach Frankreich mit, Begrab mich in Frankreichs Erde.
Das Ehrenkreuz am roten Band 25 Sollst du aufs Herz mir legen; Die Flinte gib mir in die Hand, Und guert mir um den Degen.
So will ich liegen und horchen still, Wie eine Schildwach', im Grabe, 30 Bis einst ich hoere Kanonengebruell Und wiehernder Rosse Getrabe.
Dann reitet mein Kaiser wohl ueber mein Grab, Viel Schwerter klirren und blitzen; Dann steig' ich gewaffnet hervor aus dem Grab,— 35 Den Kaiser, den Kaiser zu schuetzen!
* * * * *
47.
In mein gar zu dunkles Leben Strahlte einst ein suesses Bild; Nun das suesse Bild erblichen, Bin ich gaenzlich nachtumhuellt.
Wenn die Kinder sind im Dunkeln, 5 Wird beklommen ihr Gemuet, Und um ihre Angst zu bannen, Singen sie ein lautes Lied.
Ich, ein tolles Kind, ich singe Jetzo in der Dunkelheit; 10 Klingt das Lied auch nicht ergoetzlich, Hat's mich doch von Angst befreit.
* * * * *
48.
Ich weiss nicht, was soll es bedeuten, Dass ich so traurig bin; Ein Maerchen ans alten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kuehl und es dunkelt, 5 Und ruhig fliesst der Rhein; Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein.
Die schoenste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar, 10 Ihr goldnes Geschmeide blitzet, Sie kaemmt ihr goldenes Haar.
Sie kaemmt es mit goldenem Kamme, Und singt ein Lied dabei; Das hat eine wundersame, 15 Gewaltige Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe Ergreift es mit wildem Weh; Er schaut nicht die Felsenriffe, Er schaut nur hinauf in die Hoeh'. 20
Ich glaube, die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn; Und das hat mit ihrem Singen Die Lorelei getan.
* * * * *
49.
Du bist wie eine Blume So hold und schoen und rein: Ich schau' dich an, und Wehmut Schleicht mir ins Herz hinein.
Mir ist, als ob ich die Haende 5 Aufs Haupt dir legen sollt', Betend, dass Gott dich erhalte So rein und schoen und hold.
* * * * *
50.
Auf Fluegeln des Gesanges, Herzliebchen, trag' ich dich fort, Fort nach den Fluren des Ganges, Dort weiss ich den schoensten Ort.
Dort liegt ein rotbluehender Garten 5 Im stillen Mondenschein; Die Lotosblumen erwarten Ihr trautes Schwesterlein.
Die Veilchen kichern und kosen, Und schaun nach den Sternen empor; 10 Heimlich erzaehlen die Rosen Sich duftende Maerchen ins Ohr.
Es huepfen herbei und lauschen Die frommen, klugen Gazell'n; Und in der Ferne rauschen 15 Des heiligen Stromes Well'n.
Dort wollen wir niedersinken Unter dem Palmenbaum, Und Liebe und Ruhe trinken Und traeumen seligen Traum. 20
* * * * *
51.
Die Lotosblume aengstigt Sich vor der Sonne Pracht, Und mit gesenktem Haupte Erwartet sie traeumend die Nacht.
Der Mond, der ist ihr Buhle, 5 Er weckt sie mit seinem Licht, Und ihm entschleiert sie freundlich Ihr frommes Blumengesicht.
Sie blueht und glueht und leuchtet, Und starret stumm in die Hoeh'; 10 Sie duftet und weinet und zittert Vor Liebe und Liebesweh.
* * * * *
52.
Ein Fichtenbaum steht einsam Im Norden auf kahler Hoeh'. Ihn schlaefert; mit weisser Decke Umhuellen ihn Eis und Schnee.
Er traeumt von einer Palme, 5 Die fern im Morgenland Einsam und schweigend trauert Auf brennender Felsenwand.
* * * * *
53.
Mein Liebchen, wir sassen beisammen, Traulich im leichten Kahn. Die Nacht war still, und wir schwammen Auf weiter Wasserbahn.
Die Geisterinsel, die schoene, 5 Lag daemmrig im Mondenglanz; Dort klangen liebe Toene, Und wogte der Nebeltanz.
Dort klang es lieb und lieber, Und wogt' es hin und her; 10 Wir aber schwammen vorueber Trostlos auf weitem Meer.
* * * * *
54.
Ein Juengling liebt ein Maedchen, Die hat einen aendern erwaehlt; Der andre liebt eine andre, Und hat sich mit dieser vermaehlt.
Das Maedchen heiratet aus Aerger 5 Den ersten besten Mann, Der ihr in den Weg gelaufen; Der Juengling ist uebel dran.
Es ist eine alte Geschichte, Doch bleibt sie immer neu; 10 Und wem sie just passieret, Dem bricht das Herz entzwei.
* * * * *
* * * * *
55.
Daemmernd liegt der Sommerabend Ueber Wald und gruenen Wiesen; Goldner Mond im blauen Himmel Strahlt herunter, duftig labend.
An dem Bache zirpt die Grille, 5 Und es regt sich in dem Wasser, Und der Wandrer hoert ein Plaetschern Und ein Atmen in der Stille.
Dorten, an dem Bach alleine Badet sich die schoene Elfe; 10 Arm und Nacken, weiss und lieblich, Schimmern in dem Mondenscheine.
* * * * *
56.
Es faellt ein Stern herunter Aus seiner funkelnden Hoeh'! Das ist der Stern der Liebe, Den ich dort fallen seh'.
Es fallen vom Apfelbaume 5 Der Blueten und Blaetter viel Es kommen die neckenden Luefte Und treiben damit ihr Spiel.
Es singt der Schwan im Weiher Und rudert auf und ab, 10 Und immer leiser singend Taucht er ins Flutengrab.
Es ist so still und dunkel! Verweht ist Blatt und Bluet', Der Stern ist knisternd zerstoben, 15 Verklungen das Schwanenlied.
* * * * *
57.
Der Tod, das ist die kuehle Nacht, Das Leben ist der schwuele Tag. Es dunkelt schon, mich schlaefert, Der Tag hat mich mued' gemacht.
Ueber mein Bett erhebt sich ein Baum 5 Drin singt die junge Nachtigall; Sie singt von lauter Liebe, Ich hoer' es sogar im Traum.
* * * * *
58.
"Sag, wo ist dein schoenes Liebchen, Das du einst so schoen besungen, Als die zaubermaecht'gen Flammen Wunderbar dein Herz durchdrungen?"
Jene Flammen sind erloschen 5 Und mein Herz ist kalt und truebe, Und dies Buechlein ist die Urne Mit der Asche meiner Liebe.
* * * * *
59. FRIEDEN
Hoch am Himmel stand die Sonne Von weissen Wolken umwogt, Das Meer war still, Und sinnend lag ich am Steuer des Schiffes, Traeumerisch sinnend—und, halb im Wachen 5 Und halb im Schlummer, schaute ich Christus, Den Heiland der Welt. Im wallend weissen Gewande Wandelt' er riesengross Ueber Land und Meer; 10 Es ragte sein Haupt in den Himmel, Die Haende streckte er segnend Ueber Land und Meer; Und als ein Herz in der Brust Trug er die Sonne, 15 Die rote, flammende Sonne; Und das rote, flammende Sonnenherz Goss seine Gnadenstrahlen Und sein holdes, liebseliges Licht, Erleuchtend und waermend 20 Ueber Land und Meer.
Glockenklaenge zogen feierlich Hin und her, zogen wie Schwaene, An Rosenbaendern, das gleitende Schiff, Und zogen es spielend ans gruene Ufer, 25 Wo Menschen wohnen, in hochgetuermter Ragender Stadt.
O Friedenswunder! Wie still die Stadt! Es ruhte das dumpfe Geraeusch Der schwatzenden, schwuelen Gewerbe, 30 Und durch die reinen, hallenden Strassen Wandelten Menschen, weissgekleidete, Palmzweig-tragende, Und wo sich zwei begegneten, Sah'n sie sich an, verstaendnisinnig, 35 Und schauernd in Liebe und suesser Entsagung Kuessten sie sich auf die Stirne. Und schauten hinauf Nach des Heilands Sonnenherzen, Das freudig versoehnend sein rotes Blut 40 Hinunterstrahlte. Und dreimalselig sprachen sie: "Gelobt sei Jesus Christ!"
* * * * *
60.
Leise zieht durch mein Gemuet Liebliches Gelaeute. Klinge, kleines Fruehlingslied, Kling hinaus ins Weite.
Kling hinaus, bis an das Haus, 5 Wo die Blumen spriessen. Wenn du eine Rose schaust, Sag, ich lass' sie gruessen.
* * * * *
61.
Es war ein alter Koenig, Sein Herz war schwer, sein Haupt war grau; Der arme alte Koenig, Er nahm eine junge Frau.
Es war ein schoener Page, 5 Blond war sein Haupt, leicht war sein Sinn; Er trug die seidne Schleppe Der jungen Koenigin.
Kennst du das alte Liedchen? Es klingt so suess, es klingt so trueb'! 10 Sie mussten beide sterben, Sie hatten sich viel zu lieb.
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62.
Es ziehen die brausenden Wellen Wohl nach dem Strand; Sie schwellen und zerschellen Wohl auf dem Sand.
Sie kommen gross und kraeftig 5 Ohn' Unterlass; Sie werden endlich heftig— Was hilft uns das?
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63.
Es ragt ins Meer der Runenstein, Da sitz' ich mit meinen Traeumen. Es pfeift der Wind, die Moewen schrein, Die Wellen, die wandern und schaeumen.
Ich habe geliebt manch schoenes Kind 5 Und manchen guten Gesellen— Wo sind sie hin? Es pfeift der Wind, Es schaeumen und wandern die Wellen.
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64. IN DER FREMDE
Ich hatte einst ein schoenes Vaterland. Der Eichenbaum Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft. Es war ein Traum.
Das kuesste mich auf deutsch und sprach auf deutsch 5 (Man glaubt es kaum, Wie gut es klang) das Wort: "Ich liebe dich!" Es war ein Traum.
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65. WO?
Wo wird einst des Wandermueden Letzte Ruhestaette sein? Unter Palmen in dem Sueden? Unter Linden an dem Rhein?
Werd' ich wo in einer Wueste 5 Eingescharrt von fremder Hand? Oder ruh' ich an der Kueste Eines Meeres in dem Sand?
Immerhin! Mich wird umgeben Gotteshimmel, dort wie hier, 10 Und als Totenlampen schweben Nachts die Sterne ueber mir.
AUGUST, GRAF VON PLATEN
66. DAS GRAB IM BUSENTO
Naechtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder; Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder!
Und den Fluss hinauf, hinunter ziehn die Schatten tapfrer Goten, Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten.
Allzufrueh und fern der Heimat mussten hier sie ihn begraben, 5 Waehrend noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben.
Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette, Um die Stroemung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.
In der wogenleeren Hoehlung wuehlten sie empor die Erde, Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Ruestung, auf 10 dem Pferde.
Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe, Dass die hohen Stromgewaechse wuechsen ans dem Heldengrabe.
Abgelenkt zum zweiten Male, ward der Fluss herbeigezogen: Maechtig in ihr altes Bette schaeumten die Busentowogen.
Und es sang ein Chor von Maennern: "Schlaf in deinen 15 Heldenehren! Keines Roemers schnoede Habsucht soll dir je dein Grab versehren!"
Sangen's, und die Lobgesaenge toenten fort im Gotenheere; Waelze sie, Busentowelle, waelze sie von Meer zu Meere!
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67.
Im Wasser wogt die Lilie, die blanke, hin und her, Doch irrst du, Freund, sobald du sagst, sie schwanke hin und her: Es wurzelt ja so fest ihr Fuss im tiefen Meeresgrund, Ihr Haupt nur wiegt ein lieblicher Gedanke hin und her!
* * * * *
68.
Wie rafft' ich mich auf in der Nacht, in der Nacht, Und fuehlte mich fuerder gezogen, Die Gassen verliess ich, vom Waechter bewacht, Durchwandelte sacht In der Nacht, in der Nacht, 5 Das Tor mit dem gotischen Bogen.
Der Muehlbach rauschte durch felsigen Schacht, Ich lehnte mich ueber die Bruecke, Tief unter mir nahm ich der Wogen in acht, Die wallten so sacht 10 In der Nacht, in der Nacht, Doch wallte nicht eine zuruecke.
Es drehte sich oben, unzaehlig entfacht, Melodischer Wandel der Sterne, Mit ihnen der Mond in beruhigter Pracht, 15 Sie funkelten sacht In der Nacht, in der Nacht, Durch taeuschend entlegene Ferne.
Ich blickte hinauf in der Nacht, in der Nacht, Ich blickte hinunter aufs neue: 20 O wehe, wie hast du die Tage verbracht, Nun stille du sacht In der Nacht, in der Nacht, Im pochenden Herzen die Reue!
* * * * *
69.
Ich moechte, wann ich sterbe, wie die lichten Gestirne schnell und unbewusst erbleichen, Erliegen moecht' ich einst des Todes Streichen, Wie Sagen uns vom Pindaros berichten.
Ich will ja nicht im Leben oder Dichten 5 Den grossen Unerreichlichen erreichen, Ich moecht', o Freund, ihm nur im Tode gleichen; Doch hoere nun die schoenste der Geschichten!
Er sass im Schauspiel, vom Gesang beweget, Und hatte, der ermuedet war, die Wangen 10 Auf seines Lieblings schoenes Knie geleget:
Als nun der Choere Melodien verklangen, Will wecken ihn, der ihn so sanft geheget, Doch zu den Goettern war er heimgegangen.
NIKOLAUS LENAU
70. BITTE
Weil' auf mir, du dunkles Auge, Uebe deine ganze Macht, Ernste, milde, traeumerische, Unergruendlich suesse Nacht!
Nimm mit deinem Zauberdunkel 5 Diese Welt von hinnen mir, Dass du ueber meinem Leben Einsam schwebest fuer und fuer.
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71. SCHILFLIED
Auf dem Teich, dem regungslosen, Weilt des Mondes holder Glanz, Flechtend seine bleichen Rosen In des Schilfes gruenen Kranz.
Hirsche wandeln dort am Huegel, 5 Blicken in die Nacht empor; Manchmal regt sich das Gefluegel Traeumerisch im tiefen Rohr.
Weinend muss mein Blick sich senken; Durch die tiefste Seele geht 10 Mir ein suesses Deingedenken Wie ein stilles Nachtgebet!
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72. DER EICHWALD
Ich trat in einen heilig duestern Eichwald, da hoert' ich leis' und lind Ein Baechlein unter Blumen fluestern, Wie das Gebet von einem Kind;
Und mich ergriff ein suesses Grauen, 5 Es rauscht' der Wald geheimnisvoll, Als moecht' er mir was anvertrauen, Das noch mein Herz nicht wissen soll;
Als moecht' er heimlich mir entdecken, Was Gottes Liebe sinnt und will: 10 Doch schien er ploetzlich zu erschrecken Vor Gottes Naeh'—und wurde still.
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73. DER POSTILLION
Lieblich war die Maiennacht, Silberwoelklein flogen, Ob der holden Fruehlingspracht Freudig hingezogen.
Schlummernd lagen Wies' und Hain, 5 Jeder Pfad verlassen; Niemand als der Mondenschein Wachte auf der Strassen.
Leise nur das Lueftchen sprach, Und es zog gelinder 10 Durch das stille Schlafgemach All der Fruehlingskinder.
Heimlich nur das Baechlein schlich, Denn der Blueten Traeume Dufteten gar wonniglich 15 Durch die stillen Raeume.
Rauher war mein Postillion, Liess die Geissel knallen, Uber Berg und Tal davon Frisch sein Horn erschallen. 20
Und von flinken Rossen vier Scholl der Hufe Schlagen, Die durchs bluehende Revier Trabten mit Behagen.
Wald und Flur im schnellen Zug 25 Kaum gegruesst—gemieden; Und vorbei, wie Traumesflug, Schwand der Doerfer Frieden.
Mitten in dem Maienglueck Lag ein Kirchhof innen, 30 Der den raschen Wanderblick Hielt zu ernstem Sinnen.
Hingelehnt an Bergesrand War die bleiche Mauer, Und das Kreuzbild Gottes stand 35 Hoch, in stummer Trauer.
Schwager ritt aus seiner Bahn Stiller jetzt und trueber; Und die Rosse hielt er an, Sah zum Kreuz hinueber: 40
"Halten muss hier Ross und Rad, Mag's Euch nicht gefaehrden; Drueben liegt mein Kamerad In der kuehlen Erden!
"Ein gar herzlieber Gesell! 45 Herr, 's ist ewig schade! Keiner blies das Horn so hell, Wie mein Kamerade!
"Hier ich immer halten muss, Dem dort unterm Rasen 50 Zum getreuen Brudergruss Sein Leiblied zu blasen!"
Und dem Kirchhof sandt' er zu Frohe Wandersaenge, Dass es in die Grabesruh' 55 Seinem Bruder draenge.
Und des Hornes heller Ton Klang vom Berge wieder, Ob der tote Postillion Stimmt' in seine Lieder.— 60
Weiter ging's durch Feld und Hag Mit verhaengtem Zuegel; Lang mir noch im Ohre lag Jener Klang vom Huegel.
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74. DIE DREI
Drei Reiter nach verlorner Schlacht, Wie reiten sie so sacht, so sacht!
Aus tiefen Wunden quillt das Blut, Es spuert das Ross die warme Flut.
Vom Sattel tropft das Blut, vom Zaum, 5 Und spuelt hinunter Staub und Schaum.
Die Rosse schreiten sanft und weich, Sonst floess' das Blut zu rasch, zu reich.
Die Reiter reiten dicht gesellt, Und einer sich am andern haelt. 10
Sie sehn sich traurig ins Gesicht, Und einer um den andern spricht:
"Mir blueht daheim die schoenste Maid, Drum tut mein frueher Tod mir leid."
"Hab' Haus und Hof und gruenen Wald, 15 Und sterben muss ich hier so bald!"
"Den Blick hab' ich in Gottes Welt, Sonst nichts, doch schwer mir's Sterben faellt."
Und lauernd auf den Todesritt Ziehn durch die Luft drei Geier mit. 20
Sie teilen kreischend unter sich: "Den speisest du, den du, den ich".
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75. DER OFFENE SCHRANK
Mein liebes Muetterlein war verreist, Und kehrte nicht heim, und lag in der Grube; Da war ich allein und recht verwaist. Und traurig trat ich in ihre Stube.
Ihr Schrank stand offen, ich fand ihn noch heut', 5 Wie sie, abreisend, ihn eilig gelassen. Wie alles man durcheinander streut Wenn vor der Tuer die Pferde schon passen.
Ein aufgeschlagnes Gebetbuch lag Bei mancher Rechnung, von ihr geschrieben; 10 Von ihrem Fruehstueck am Scheidetag War noch ein Stuecklein Kuchen geblieben.
Ich las das aufgeschlagne Gebet, Es war: wie eine Mutter um Segen Fuer ihre Kinder zum Himmel fleht; 15 Mir pochte das Herz in bangen Schlaegen.
Ich las ihre Schrift, und ich verbiss Nicht laenger meine gerechten Schmerzen, Ich las die Zahlen, und ich zerriss Die Freudenrechnung in meinem Herzen. 20
Zusammen sucht' ich den Speiserest, Das kleinste Kruemlein, den letzten Splitter, Und haett' es mir auch den Hals gepresst, Ich ass vom Kuchen und weinte bitter.
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76. AUF EINE HOLLAENDISCHE LANDSCHAFT
Muede schleichen hier die Baeche, Nicht ein Lueftchen hoerst du wallen, Die entfaerbten Blaetter fallen Still zu Grund', vor Altersschwaeche.
Kraehen, kaum die Schwingen regend, 5 Streichen langsam; dort am Huegel Laesst die Windmuehl' ruhn die Fluegel; Ach, wie schlaefrig ist die Gegend!
Lenz und Sommer sind verflogen; Dort das Huettlein, ob es trutze, 10 Blickt nicht aus, die Strohkapuze Tief ins Aug' herabgezogen.
Schlummernd, oder traege sinnend, Ruht der Hirt bei seinen Schafen, Die Natur, Herbstnebel spinnend, 15 Scheint am Rocken eingeschlafen.
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77. STIMME DES REGENS
Die Luefte rasten auf der weiten Heide, Die Disteln sind so regungslos zu schauen, So starr, als waeren sie aus Stein gehauen, Bis sie der Wandrer streift mit seinem Kleide.
Und Erd' und Himmel haben keine Scheide, 5 In eins gefallen sind die nebelgrauen, Zwei Freunden gleich, die sich ihr Leid vertrauen, Und mein und dein vergessen traurig beide.
Nun ploetzlich wankt die Distel hin und wieder, Und heftig rauschend bricht der Regen nieder, 10 Wie laute Antwort auf ein stummes Fragen.
Der Wandrer hoert den Regen niederbrausen, Er hoert die windgepeitschte Distel sausen, Und eine Wehmut fuehlt er, nicht zu sagen.
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78. HERBST
Rings ein Verstummen, ein Entfaerben: Wie sanft den Wald die Luefte streicheln, Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln; Ich liebe dieses milde Sterben.
Von hinnen geht die stille Reise, 5 Die Zeit der Liebe ist verklungen, Die Voegel haben ausgesungen, Und duerre Blaetter sinken leise.
Die Voegel zogen nach dem Sueden, Aus dem Verfall des Laubes tauchen 10 Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen, Die Blaetter fallen stets, die mueden.
In dieses Waldes leisem Rauschen Ist mir, als hoer' ich Kunde wehen, Dass alles Sterben und Vergehen 15 Nur heimlich still vergnuegtes Tauschen.
EDUARD MOERIKE
79. UM MITTERNACHT
Gelassen stieg die Nacht ans Land, Lehnt traeumend an der Berge Wand; Ihr Auge sieht die goldne Wage nun Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn. Und kecker rauschen die Quellen hervor, 5 Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr Vom Tage, Vom heute gewesenen Tage.
Das uralt alte Schlummerlied— Sie achtet's nicht, sie ist es mued'; 10 Ihr klingt des Himmels Blaeue suesser noch, Der fluecht'gen Stunden gleichgeschwung'nes Joch. Doch immer behalten die Quellen das Wort, Es singen die Wasser im Schlafe noch fort Vom Tage, 15 Vom heute gewesenen Tage.
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80. SEPTEMBERMORGEN
Im Nebel ruhet noch die Welt, Noch traeumen Wald und Wiesen: Bald siehst du, wenn der Schleier faellt, Den blauen Himmel unverstellt, Herbstkraeftig die gedaempfte Welt 5 In warmem Golde fliessen.
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81. ER IST'S
Fruehling laesst sein blaues Band Wieder flattern durch die Luefte; Suesse, wohlbekannte Duefte Streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen traeumen schon, 5 Wollen balde kommen.— Horch, von fern ein leiser Harfenton! Fruehling, ja du bist's! Dich hab' ich vernommen!
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82. IN DER FRUEHE
Kein Schlaf noch kuehlt das Auge mir, Dort gehet schon der Tag herfuer An meinem Kammerfenster. Es wuehlet mein verstoerter Sinn Noch zwischen Zweifeln her und hin 5 Und schaffet Nachtgespenster.— Aengste, quaele Dich nicht laenger, meine Seele! Freu dich! schon sind da und dorten Morgenglocken wach geworden. 10
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83. DER FEUERREITER
Sehet ihr am Fensterlein Dort die rote Muetze wieder? Nicht geheuer muss es sein, Denn er geht schon auf und nieder. Und auf einmal welch Gewuehle 5 Bei der Bruecke, nach dem Feld! Horch! das Feuergloecklein gellt: Hinterm Berg, Hinterm Berg Brennt es in der Muehle. 10
Schaut! da sprengt er wuetend schier Durch das Tor, der Feuerreiter, Auf dem rippenduerren Tier, Als auf einer Feuerleiter. Querfeldein! Durch Qualm und Schwuele 15 Rennt er schon und ist am Ort! Drueben schallt es fort und fort: Hinterm Berg, Hinterm Berg Brennt es in der Muehle. 20
Der so oft den roten Hahn Meilenweit von fern gerochen Mit des heil'gen Kreuzes Span Freventlich die Glut besprochen— Weh! dir grinst vom Dachgestuehle 25 Dort der Feind im Hoellenschein. Gnade Gott der Seele dein! Hinterm Berg, Hinterm Berg Rast er in der Muehle. 30
Keine Stunde hielt es an, Bis die Muehle borst in Truemmer; Doch den kecken Reitersmann Sah man von der Stunde nimmer. Volk und Wagen im Gewuehle 35 Kehren heim von all dem Graus Auch das Gloecklein klinget aus: Hinterm Berg, Hinterm Berg Brennt's— 40
Nach der Zeit ein Mueller fand Ein Gerippe samt der Muetzen Aufrecht an der Kellerwand Auf der beinern Maehre sitzen. Feuerreiter, wie so kuehle 45 Reitest du in deinem Grab! Husch! da faellt's in Asche ab. Ruhe wohl, Ruhe wohl Drunten in der Muehle! 50
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84. DAS VERLASSENE MAEGDLEIN
Frueh, wann die Haehne kraehn, Eh' die Sternlein verschwinden, Muss ich am Herde stehn, Muss Feuer zuenden.
Schoen ist der Flammen Schein, 5 Es springen die Funken; Ich schaue so drein, In Leid versunken.
Ploetzlich da kommt es mir, Treuloser Knabe, 10 Dass ich die Nacht von dir Getraeumet habe.
Traene auf Traene dann Stuerzet hernieder: So kommt der Tag heran— 15 O ging' er wieder!
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85. LEBEWOHL
"Lebe wohl!"—Du fuehlest nicht, Was es heisst, dies Wort der Schmerzen; Mit getrostem Angesicht Sagtest du's und leichtem Herzen.
Lebe wohl!—Ach, tausendmal 5 Hab' ich mir es vorgesprochen, Und in nimmersatter Qual Mir das Herz damit gebrochen!
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86. SCHOEN-ROHTRAUT
Wie heisst Koenig Ringangs Toechterlein? Rohtraut, Schoen-Rohtraut. Was tut sie denn den ganzen Tag, Da sie wohl nicht spinnen und naehen mag? Tut fischen und jagen. 5 O dass ich doch ihr Jaeger waer'! Fischen und Jagen freute mich sehr.— Schweig stille, mein Herze!
Und ueber eine kleine Weil', Rohtraut, Schoen-Rohtraut, 10 So dient der Knab' auf Ringangs Schloss In Jaegertracht und hat ein Ross, Mit Rohtraut zu jagen. O dass ich doch ein Koenigssohn waer'! Rohtraut, Schoen-Rohtraut lieb' ich so sehr.— 15 Schweig stille, mein Herze!
Einstmals sie ruhten am Eichenbaum, Da lacht Schoen-Rohtraut: "Was siehst mich an so wunniglich? Wenn du das Herz hast, kuesse mich!" 20 Ach, erschrak der Knabe! Doch denket er: Mir ist's vergunnt, Und kuesset Schoen-Rohtraut auf den Mund.— Schweig stille, mein Herze!
Darauf sie ritten schweigend heim, 25 Rohtraut, Schoen-Rohtraut; Es jauchzt der Knab' in seinem Sinn: Und wuerdst du heute Kaiserin, Mich sollt's nicht kraenken! Ihr tausend Blaetter im Walde, wisst! 30 Ich hab' Schoen-Rohtrauts Mund gekuesst— Schweig stille, mein Herze!
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87. AUF EINE LAMPE
Noch unverrueckt, o schoene Lampe, schmueckest du, An leichten Ketten zierlich aufgehangen hier, Die Decke des nun fast vergessnen Lustgemachs. Auf deiner weissen Marmorschale, deren Rand Der Efeukranz von goldengruenem Erz umflicht, 5 Schlingt froehlich eine Kinderschar den Ringelreihn. Wie reizend alles! lachend und ein sanfter Geist Des Ernstes doch ergossen um die ganze Form: Ein Kunstgebild der echten Art. Wer achtet sein? Was aber schoen ist, selig scheint es in ihm selbst. 10
* * * * *
88. GEBET
Herr, schicke, was du willt, Ein Liebes oder Leides! Ich bin vergnuegt, dass beides Aus deinen Haenden quillt.
Wollest mit Freuden 5 Und wollest mit Leiden Mich nicht ueberschuetten! Doch in der Mitten Liegt holdes Bescheiden.
* * * * *
89. DENK' ES, O SEELE
Ein Taennlein gruenet wo, Wer weiss? im Walde, Ein Rosenstrauch, wer sagt, In welchem Garten? Sie sind erlesen schon— 5 Denk' es, o Seele!— Auf deinem Grab zu wurzeln Und zu wachsen.
Zwei schwarze Roesslein weiden Auf der Wiese, 10 Sie kehren heim zur Stadt In muntern Spruengen. Sie werden schrittweis gehn Mit deiner Leiche, Vielleicht, vielleicht noch eh' 15 An ihren Hufen Das Eisen los wird, Das ich blitzen sehe.
FRIEDRICH HEBBEL
90. NACHTLIED
Quellende, schwellende Nacht, Voll von Lichtern und Sternen In den ewigen Fernen, Sage, was ist da erwacht?
Herz in der Brust wird beengt, 5 Steigendes, neigendes Leben, Riesenhaft fuehle ich's weben, Welches das meine verdraengt.
Schlaf, da nahst du dich leis, Wie dem Kinde die Amme, 10 Und um die duerftige Flamme Ziehst du den schuetzenden Kreis.
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91. DAS KIND
Die Mutter lag im Totenschrein, Zum letztenmal geschmueckt; Da spielt das kleine Kind herein, Das staunend sie erblickt.
Die Blumenkron' im blonden Haar 5 Gefaellt ihm gar zu sehr, Die Busenblumen, bunt und klar, Zum Strauss gereiht, noch mehr.
Und sanft und schmeichelnd ruft es aus: "Du liebe Mutter, gib 10 Mir eine Blum' aus deinem Strauss, Ich hab' dich auch so lieb."
Und als die Mntter es nicht tut, Da denkt das Kind fuer sich: "Sie schlaeft, doch wenn sie ausgeruht, 15 So tut sie's sicherlich."
Schleicht fort, so leis' es immer kann, Und schliesst die Tuere sacht Und lauscht von Zeit zu Zeit daran, Ob Mutter noch nicht wacht. 20
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92. NACHTGEFUEHL
Wenn ich mich abends entkleide, Gemachsam, Stueck fuer Stueck, So tragen die mueden Gedanken Mich vorwaerts oder zurueck.
Ich denke der alten Tage, 5 Da zog die Mutter mich aus; Sie legte mich still in die Wiege, Die Winde brausten ums Haus.
Ich denke der letzten Stunde, Da werden's die Nachbarn tun; 10 Sie senken mich still in die Erde, Da werd' ich lange ruhn.
Schliesst nun der Schlaf mein Auge, Wie traeum' ich oftmals das: Es waere eins von beidem, 15 Nur wuesst' ich selber nicht, was.
* * * * *
93. GEBET
Die du, ueber die Sterne weg, Mit der geleerten Schale Ausschwebst, um sie am ew'gen Born Eilig wieder zu fuellen: Einmal schwenke sie noch, o Glueck, 5 Einmal, laechelnde Goettin! Sieh, ein einziger Tropfen haengt Noch verloren am Rande, Und der einzige Tropfen genuegt, Eine himmlische Seele, 10 Die hier unten in Schmerz erstarrt, Wieder in Wonne zu loesen. Ach! sie weint dir suesseren Dank, Als die anderen alle, Die du gluecklich und reich gemacht; 15 Lass ihn fallen, den Tropfen!
* * * * *
94. ABENDGEFUEHL
Friedlich bekaempfen Nacht sich und Tag. Wie das zu daempfen, Wie das zu loesen vermag!
Der mich bedrueckte, 5 Schlaefst du schon, Schmerz? Was mich beglueckte, Sage, was war's doch, mein Herz?
Freude wie Kummer, Fuehl' ich, zerrann, 10 Aber den Schlummer Fuehrten sie leise heran.
Und im Entschweben, Immer empor, Kommt mir das Leben 15 Ganz wie ein Schlummerlied vor.
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95. ICH UND DU
Wir traeumten von einander Und sind davon erwacht, Wir leben, um uns zu lieben, Und sinken zurueck in Nacht.
Du tratst aus meinem Traume, 5 Aus deinem trat ich hervor, Wir sterben, wenn sich eines Im andern ganz verlor.
Auf einer Lilie zittern Zwei Tropfen, rein und rund, 10 Zerfliessen in eins und rollen Hinab in des Kelches Grund.
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96. SOMMERBILD
Ich sah des Sommers letzte Rose stehn, Sie war, als ob sie bluten koenne, rot; Da sprach ich schauernd im Voruebergehn: "So weit im Leben ist zu nah' am Tod."
Es regte sich kein Hauch am heissen Tag, 5 Nur leise strich ein weisser Schmetterling; Doch ob auch kaum die Luft sein Fluegelschlag Bewegte, sie empfand es und verging.
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97. HERBSTBILD
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah! Die Luft ist still, als atmete man kaum. Und dennoch fallen, raschelnd, fern und nah, Die schoensten Fruechte ab von jedem Banm.
O stoert sie nicht, die Feier der Natur! 5 Dies ist die Lese, die sie selber haelt, Denn heute loest sich von den Zweigen nur, Was vor dem milden Strahl der Sonne faellt.
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98. DER LETZTE BAUM
So wie die Sonne untergeht, Gibt's einen letzten Baum, Der wie in Morgenflammen steht Am fernsten Himmelsraum.
Es ist ein Baum und weiter nichts,^ 5 Doch denkt man in der Nacht Des letzten wunderbaren Lichts, So wird auch sein gedacht.
Auf gleiche Weise denk' ich dein, Nun mich die Jugend laesst, 10 Du haeltst mir ihren letzten Schein Fuer alle Zeiten fest.
GOTTFRIED KELLER
99. AN DAS VATERLAND
O mein Heimatland! O mein Vaterland! Wie so innig, feurig lieb' ich dich! Schoenste Ros', ob jede mir verblich, Duftest noch an meinem oeden Strand!
Als ich arm, doch froh, fremdes Land durchstrich, 5 Koenigsglanz mit deinen Bergen mass, Thronenflitter bald ob dir vergass, Wie war da der Bettler stolz auf dich!
Als ich fern dir war, o Helvetia! Fasste manchmal mich ein tiefes Leid; 10 Doch wie kehrte schnell es sich in Freud', Wenn ich einen deiner Soehne sah!
O mein Schweizerland, all mein Gut und Hab' Wann dereinst die letzte Stunde kommt, Ob ich Schwacher dir auch nichts gefrommt, 15 Nicht versage mir ein stilles Grab!
Werf' ich von mir einst dies mein Staubgewand, Beten will ich dann zu Gott dem Herrn: "Lasse strahlen deinen schoensten Stern Nieder auf mein irdisch Vaterland!" 20
* * * * *
100. WINTERNACHT
Nicht ein Fluegelschlag ging durch die Welt, Still und blendend lag der weisse Schnee. Nicht ein Woelklein hing am Sternenzelt, Keine Welle schlug im starren See.
Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf, 5 Bis sein Wipfel in dem Eis gefror; An den Aesten klomm die Nix' herauf, Schaute durch das gruene Eis empor.
Auf dem duennen Glase stand ich da, Das die schwarze Tiefe von mir schied; 10 Dicht ich unter meinen Fuessen sah Ihre weisse Schoenheit, Glied um Glied.
Mit ersticktem Jammer tastet sie An der harten Decke her und hin, Ich vergess' das dunkle Antlitz nie, 15 Immer, immer liegt es mir im Sinn.
* * * * *
101. ABENDLIED
Augen, meine lieben Fensterlein, Gebt mir schon so lange holden Schein, Lasset freundlich Bild um Bild herein: Einmal werdet ihr verdunkelt sein!
Fallen einst die mueden Lider zu, 5 Loescht ihr aus, dann hat die Seele Ruh'; Tastend streift sie ab die Wanderschuh', Legt sich auch in ihre finstre Truh'.
Noch zwei Fuenklein sieht sie glimmend stehn Wie zwei Sternlein, innerlich zu sehn, 10 Bis sie schwanken und dann auch vergehn, Wie von eines Falters Fluegelwehn.
Doch noch wandl' ich auf dem Abendfeld, Nur dem finkenden Gestirn gesellt; Trinkt, o Augen, was die Wimper haelt, 15 Von dem goldnen Ueberfluss der Welt!
THEODOR STORM
102. OKTOBERLIED
Der Nebel steigt, es faellt das Laub; Schenk ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden!
Und geht es draussen noch so toll, 5 Unchristlich oder christlich, Ist doch die Welt, die schoene Welt, So gaenzlich unverwuestlich!
Und wimmert auch einmal das Herz,— Stoss an und lass es klingen! 10 Wir wissen's doch, ein rechtes Herz Ist gar nicht umzubringen.
Der Nebel steigt, es faellt das Laub; Schenk ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag 15 Vergolden, ja vergolden!
Wohl ist es Herbst; doch warte nur, Doch warte nur ein Weilchen! Der Fruehling kommt, der Himmel lacht, Es steht die Welt in Veilchen. 20
Die blauen Tage brechen an, Und ehe sie verfliessen, Wir wollen sie, mein wackrer Freund, Geniessen, ja geniessen!
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103. WEIHNACHTSLIED
Vom Himmel in die tiefsten Kluefte Ein milder Stern herniederlacht; Vom Tannenwalde steigen Duefte Und hauchen durch die Winterluefte, Und kerzenhelle wird die Nacht. 5
Mir ist das Herz so froh erschrocken, Das ist die liebe Weihnachtszeit! Ich hoere fernher Kirchenglocken Mich lieblich heimatlich verlocken In maerchenstille Heimlichkeit. 10
Ein frommer Zauber haelt mich wieder, Anbetend, staunend muss ich stehn; Es sinkt auf meine Augenlider Ein goldner Kindertraum hernieder, Ich fuehl's: ein Wunder ist geschehn. 15
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104. SOMMERMITTAG
Nun ist es still um Hof und Scheuer Und in der Muehle ruht der Stein; Der Birnenbaum mit blanken Blaettern Steht regungslos im Sonnenschein.
Die Bienen summen so verschlafen; 5 Und in der offnen Bodenluk', Benebelt von dem Duft des Heues, Im grauen Roecklein nickt der Puk.
Der Mueller schnarcht und das Gesinde, Und nur die Tochter wacht im Haus; 10 Die lachet still und zieht sich heimlich Fuersichtig die Pantoffeln aus.
Sie geht und weckt den Muellerburschen, Der kaum den schweren Augen traut: "Nun kuesse mich, verliebter Junge; 15 Doch sauber, sauber, nicht zu laut."
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105. DIE STADT
Am grauen Strand, am grauen Meer Und seitab liegt die Stadt; Der Nebel drueckt die Daecher schwer, Und durch die Stille braust das Meer Eintoenig um die Stadt. 5
Es rauscht kein Wald, es schlaegt im Mai Kein Vogel ohn' Unterlass; Die Wandergans mit hartem Schrei Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei, Am Strande weht das Gras. 10
Doch haengt mein ganzes Herz an dir, Du graue Stadt am Meer; Der Jugend Zauber fuer und fuer Ruht laechelnd doch auf dir, auf dir, Du graue Stadt am Meer. 15
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106. UEBER DIE HEIDE
Ueber die Heide hallet mein Schritt; Dumpf aus der Erde wandert es mit.
Herbst ist gekommen, Fruehling ist weit—- Gab es denn einmal selige Zeit?
Brauende Nebel geisten umher; 5 Schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer.
Waer' ich hier nur nicht gegangen im Mai! Leben und Liebe,—wie flog es vorbei!
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107. LUCIE
Ich seh sie noch, ihr Buechlein in der Hand, Nach jener Bank dort an der Gartenwand Vom Spiel der andern Kinder sich entfernen; Sie wusste wohl, es muehte sie das Lernen.
Nicht war sie klug, nicht schoen; mir aber war 5 Ihr blass Gesichtchen und ihr blondes Haar, Mir war es lieb; aus der Erinnrung Duester Schaut es mich an; wir waren recht Geschwister.
Ihr schmales Bettchen teilte sie mit mir, Und naechtens Wang' an Wange schliefen wir; 10 Das war so schoen! Noch weht ein Kinderfrieden Mich an aus jenen Zeiten, die geschieden.
Ein Ende kam;—ein Tag, sie wurde krank Und lag im Fieber viele Wochen lang; Ein Morgen dann, wo sanft die Winde gingen, 15 Da ging sie heim; es bluehten die Springen.
Die Sonne schien; ich lief ins Feld hinaus Und weinte laut; dann kam ich still nach Haus. Wohl zwanzig Jahr und drueber sind vergangen— An wie viel andrem hat mein Herz gehangen! 20
Was hab' ich heute denn nach dir gebangt? Bist du mir nah und hast nach mir verlangt? Willst du, wie einst nach unsern Kinderspielen, Mein Knabenhaupt an deinem Herzen fuehlen?
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108. EINE FRUEHLINGSNACHT
Im Zimmer drinnen ist's so schwuel; Der Kranke liegt auf dem heissen Pfuehl.
Im Fieber hat er die Nacht verbracht; Sein Herz ist muede, sein Auge verwacht.
Er lauscht auf der Stunden rinnenden Sand; 5 Er haelt die Uhr in der weissen Hand.
Er zaehlt die Schlaege, die sie pickt, Er forschet, wie der Weiser rueckt;
Es fragt ihn, ob er noch leb' vielleicht, Wenn der Weiser die schwarze Drei erreicht. 10
Die Wartfrau sitzet geduldig dabei, Harrend, bis alles vorueber sei.—
Schon auf dem Herzen drueckt ihn der Tod; Und draussen daemmert das Morgenrot.
An die Fenster klettert der Fruehlingstag, 15 Maedchen und Voegel werden wach.
Die Erde lacht in Liebesschein, Pfingstglocken laeuten das Brautfest ein;
Singende Burschen ziehn uebers Feld Hinein in die bluehende, klingende Welt.— 20
Und immer stiller wird es drin; Die Alte tritt zum Kranken hin.
Der hat die Haende gefaltet dicht; Sie zieht ihm das Laken uebers Gesicht.
Dann geht sie fort. Stumm wird's und leer, 25 Und drinnen wacht kein Auge mehr.
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109. APRIL
Das ist die Drossel, die da schlaegt, Der Fruehling, der mein Herz bewegt. Ich fuehle, die sich hold bezeigen, Die Geister aus der Erde steigen. Das Leben fliesset wie ein Traum— 5 Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.
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110. MAI
Die Kinder schreien Vivat hoch! In die blaue Luft hinein; Den Fruehling setzen sie ans den Thron. Der soll ihr Koenig sein. * * * * * Die Kinder haben die Veilchen gepflueckt, 5 All, all, die da bluehten am Muehlengraben. Der Lenz ist da; sie wollen ihn fest In ihren kleinen Faeusten haben.
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111. ELISABETH
Meine Mutter hat's gewollt, Den andern ich nehmen sollt'; Was ich zuvor besessen, Mein Herz sollt es vergessen; Das hat es nicht gewollt. 5
Meine Mutter klag' ich an, Sie hat nicht wohl getan; Was sonst in Ehren stuende, Nun ist es worden Suende. Was fang' ich an? 10
Fuer all mein Stolz und Freud' Gewonnen hab' ich Leid. Ach, waer' das nicht geschehen, Ach, koennt' ich betteln gehen Ueber die braune Heid'! 15
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112. FRAUENHAND
Ich weiss es wohl, kein klagend Wort Wird ueber deine Lippen gehen; Doch was so sanft dein Mund verschweigt, Muss deine blasse Hand gestehen.
Die Hand, an der mein Auge haengt, 5 Zeigt jenen feinen Zug der Schmerzen, Und dass in schlummerloser Nacht Sie lag auf einem kranken Herzen.
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113. SCHLIESSE MIR DIE AUGEN BEIDE
Schliesse mir die Augen beide Mit den lieben Haenden zu! Geht doch alles, was ich leide, Unter deiner Hand zur Ruh'. Und wie leise sich der Schmerz 5 Well' um Welle schlafen leget, Wie der letzte Schlag sich reget, Fuellest du mein ganzes Herz.
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CONRAD FERDINAND MEYER
114. LIEDERSEELEN
In der Nacht, die die Baeume mit Blueten deckt, Ward ich von suessen Gespenstern erschreckt, Ein Reigen schwang im Garten sich, Den ich mit leisem Fuss beschlich; Wie zarter Elfen Chor im Ring 5 Ein weisser lebendiger Schimmer ging. Die Schemen hab' ich keck befragt: Wer seid ihr, luftige Wesen? Sagt!
"Ich bin ein Woelkchen, gespiegelt im See." "Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee." 10 "Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!" "Ich bin ein Geheimnis, gefluestert ins Ohr." "Ich bin ein frommes, gestorbnes Kind." "Ich bin ein ueppiges Blumengewind—" "Und die du waehlst, und der's beschied 15 Die Gunst der Stunde, die wird ein Lied."
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115. NACHTGERAEUSCHE
Melde mir die Nachtgeraeusche, Muse, Die ans Ohr des Schlummerlosen fluten!— Erst das traute Wachtgebell der Hunde, Dann der abgezaehlte Schlag der Stunde, Dann ein Fischer-Zwiegespraech am Ufer, 5 Dann? Nichts weiter als der ungewisse Geisterlaut der ungebrochnen Stille, Wie das Atmen eines jungen Busens, Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens, Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders, 10 Dann der ungehoerte Tritt des Schlummers.
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116. DAS TOTE KIND
Es hat den Garten sich zum Freund gemacht, Dann welkten er und es im Herbste sacht, Die Sonne ging, und es und er entschlief, Gehuellt in eine Decke weiss und tief.
Jetzt ist der Garten unversehns erwacht, Die Kleine schlummert fest in ihrer Nacht. "Wo steckst du?" summt es dort und summt es hier. Der ganze Garten fraegt nach ihr, nach ihr.
Die blaue Winde klettert schlank empor Und blickt ins Haus: "Komm hinterm Schrank hervor! Wo birgst du dich? Du tust dir's selbst zu leid! Was hast du fuer ein neues Sommerkleid?"
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117. IM SPAETBOOT
Aus der Schiffsbank mach' ich meinen Pfuehl, Endlich wird die heisse Stirne kuehl! O wie suess erkaltet mir das Herz! O wie weich verstummen Lust und Schmerz! Ueber mir des Rohres schwarzer Rauch 5 Wiegt und biegt sich in des Windes Hauch. Hueben hier und drueben wieder dort Haelt das Boot an manchem kleinen Port: Bei der Schiffslaterne kargem Schein Steigt ein Schatten aus und niemand ein. 10 Nur der Steurer noch, der wacht und steht! Nur der Wind, der mir im Haare weht! Schmerz und Lust erleiden sanften Tod. Einen Schlumm'rer traegt das dunkle Boot.
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118. VOR DER ERNTE
Am wolkenreinen Himmel geht Die blanke Sichel schoen, Im Korne drunten wogt und weht Und wuehlt und rauscht der Foehn.
Sie wandert voller Melodie 5 Hochueber durch das Land. Frueh morgen schwingt die Schnitt'rin sie Mit sonnenbrauner Hand.
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119. DER ROEMISCHE BRUNNEN
Aufsteigt der Strahl und fallend giesst Er voll der Marmorschale Rund, Die, sich verschleiernd, ueberfliesst In einer zweiten Schale Grund; Die zweite gibt, sie wird zu reich. 5 Der dritten wallend ihre Flut, Und jede nimmt und gibt zugleich Und stroemt und ruht.
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120. NEUJAHRSGLOCKEN
In den Lueften schwellendes Gedroehne, Leicht wie Halme biegt der Wind die Toene
Leis' verhallen, die zum ersten riefen, Neu Gelaeute hebt sich aus den Tiefen.
Grosse Heere, nicht ein einzler Rufer! 5 Wohllaut flutet ohne Strand und Ufer.
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121. SAEERSPRUCH
Bemesst den Schritt! Bemesst den Schwung! Die Erde bleibt noch lange jung! Dort faellt ein Korn, das stirbt und ruht. Die Ruh' ist suess. Es hat es gut. Hier eins das durch die Scholle bricht. 5 Es hat es gut. Suess ist das Licht. Und keines faellt aus dieser Welt Und jedes faellt, wie 's Gott gefaellt.
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122. SCHNITTERLIED
Wir schnitten die Saaten, wir Buben und Dirnen, Mit nackenden Armen und triefenden Stirnen, Von donnernden dunklen Gewittern bedroht— Gerettet das Korn und nicht einer, der darbe! Von Garbe zu Garbe 5 Ist Raum fuer den Tod—- Wie schwellen die Lippen des Lebens so rot!
Hoch thronet ihr Schoenen auf gueldenen Sitzen, In strotzenden Garben umflimmert von Blitzen— Nicht eine, die darbe! Wir bringen das Brot! 10 Zum Reigen! Zum Tanze! Zur tosenden Runde! Von Munde zu Munde Ist Raum fuer den Tod—- Wie schwellen die Lippen des Lebens so rot!
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123. NACH EINEM NIEDERLAENDER
Der Meister malt ein kleines zartes Bild, Zurueckgelehnt, beschaut er's liebevoll. Es pocht. "Herein." Ein flaemischer Junker ist's. Mit einer drallen, aufgedonnerten Dirn', Der vor Gesundheit fast die Wange birst. 5 Sie rauscht von Seide, flimmert von Geschmeid. "Wir haben's eilig, lieber Meister. Wisst, Ein wackrer Schelm stiehlt mir das Toechterlein. Morgen ist Hochzeit. Malet mir mein Kind!" "Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinselstrich!" 10 Sie treten lustig vor die Staffelei: Auf einem blanken Kissen schlummernd liegt Ein feiner Maedchenkopf. Der Meister fetzt Des Blumenkranzes tiefste Knospe noch Auf die verblichne Stirn mit leichter Hand. 15 —"Nach der Natur?" —"Nach der Natur. Mein Kind. Gestern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienst."
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124. EINGELEGTE RUDER
Meine eingelegten Ruder triefen, Tropfen fallen langsam in die Tiefen.
Nichts, das mich verdross! Nichts, das mich freute! Niederrinnt ein schmerzenloses Heute!
Unter mir—ach, aus dem Licht verschwunden— 5 Traeumen schon die schoenern meiner Stunden.
Aus der blauen Tiefe ruft das Gestern: Sind im Licht noch manche meiner Schwestern?
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125. EWIG JUNG IST NUR DIE SONNE
Heute fanden meine Schritte mein vergessnes Jugendtal, Seine Sohle lag veroedet, seine Berge standen kahl. Meine Baeume, meine Traeume, meine buchendunkeln Hoeh'n— Ewig jung ist nur die Sonne, sie allein ist ewig schoen. Drueben dort in schilf'gem Grunde, wo die muede Lache liegt, 5 Hat zu meiner Jugendstunde sich lebend'ge Flut gewiegt, Durch die Heiden, durch die Weiden ging ein wandernd Herdgetoen—- Ewig jung ist nur die Sonne, sie allein ist ewig schoen. |
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